Absolute Power (Der Präsident)
Immer noch konnte sie es schaffen; immer noch hatte sie es in der Hand, das Ende der Geschichte zu beeinflussen, wenn sie nur die Nerven behielt und den erstklassigen Verstand benutzte, mit dem Gott sie gesegnet hatte. Sie konnte aus dem Schlamassel herauskommen. Und sie wußte, wie sie es anstellen mußte.
Die Vorgangsweise, die Gloria Russell sich zurechtgelegt hatte, wäre jedem, der sie kannte, höchst seltsam erschienen. Doch die Stabschefin hatte eine Seite, die viele überrascht hätte. Seit sie in die Politik gegangen war, hatte ihre Aufgabe alles andere in ihrem Leben in den Schatten gestellt. Einschließlich der privaten Beziehungen, die man in ihrem Alter zu unterhalten pflegte. Dennoch verfügte Gloria Russell über eine feminine Seite, die einen krassen Gegensatz zu ihrem förmlichen Auftreten als Stabschefin bildete. Die rasch verfliegenden Jahre trugen hinlänglich dazu bei, daß sie sich dieser Unausgeglichenheit ihres Daseins zunehmend bewußt wurde. Zwar hatte sie in dieser Hinsicht keine konkreten Pläne, schon gar nicht angesichts der drohenden Katastrophe, mit der sie sich auseinandersetzen mußte, doch sie glaubte zu wissen, wie sie diese taktische Aufgabe am besten erfüllen und sich dabei gleichzeitig ihre Attraktivität bestätigen lassen konnte. Ihren Gefühlen konnte sie sich ebensowenig entziehen wie ihrem Schatten. Warum also sich nicht ihrer bedienen? Sie vertraute ohnehin darauf, daß der feine Unterschied dem geplanten Opfer der Strategie nicht bewußt werden würde.
Zwei Stunden später schaltete sie das Licht aus und bestellte den Wagen. Dann warf sie einen Blick auf den aktuellen Dienstplan des Secret Service und griff zum Telefon. Nach drei Minuten stand Agent Collin vor ihr, die Hände in typischer Agentenmanier vor sich gefaltet. Sie bedeutete ihm, einen Augenblick zu warten, während sie ihr Make-up überprüfte, mit den Lippen ein perfektes Oval formte und den Lippenstift nachzog. Aus dem Augenwinkel betrachtete sie den großen, schlanken Mann neben dem Schreibtisch. Sein Aussehen, das des Titelblatts eines Frauenmagazins durchaus würdig war, wäre von jeder normalen Frau schwerlich zu ignorieren. Sein Beruf, der ein ständiges Leben in Gefahrbedingte, und der Umstand, daß er selbst gefährlich sein konnte, trugen nur vorteilhaft zum Gesamtbild bei. Es war dasselbe wie mit den bösen Buben an der High-School, zu denen sich Mädchen stets hingezogen fühlten, und sei es nur, um die Stumpfheit der eigenen Existenz zeitweilig hinter sich zu lassen. Sie war überzeugt, daß Tim Collin in seinem relativ jungen Leben schon das Herz so mancher Frau gebrochen hatte.
Ihr Terminkalender für den Abend war leer, was nicht häufig vorkam. Sie rollte mit dem Stuhl zurück und schlüpfte in die Stöckelschuhe. Dabei entging ihr, daß Agent Collins Blick kurz auf ihre Beine wanderte, bevor er wieder geradeaus starrte. Hätte sie es bemerkt, sie wäre vermutlich erfreut gewesen, nicht zuletzt aus dem offensichtlichen Grund.
»Der Präsident gibt nächste Woche im Gericht von Middleton eine Pressekonferenz, Tim.«
»Ich weiß, Ma'am, um neun Uhr fünfunddreißig morgens. Wir arbeiten gerade an den Vorbereitungen.« Er starrte weiterhin geradeaus.
»Finden Sie das nicht ein wenig ungewöhnlich?«
Collin sah sie an. »Wieso sollte ich, Ma'am?«
»Ich bin nicht mehr im Dienst, Sie können mich Gloria nennen.«
Unsicher trat Collin von einem Fuß auf den anderen. Sie konnte ein Lächeln über seine augenscheinliche Verlegenheit nicht unterdrücken.
»Sie kennen doch das Thema der Pressekonferenz, nicht wahr?«
»Der Präsident wird sich über«, Collin schluckte merklich, »über den Mord an Mrs. Sullivan äußern.«
»Stimmt genau. Ein Präsident gibt eine Pressekonferenz zur Ermordung einer Privatperson. Finden Sie das nicht merkwürdig? Ich glaube, daß ist einmalig in der Geschichte, Tim.«
»Das weiß ich nicht, Ma'- ... Gloria.«
»Sie haben doch kürzlich viel Zeit mit ihm verbracht. Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches am Präsidenten aufgefallen?«
»Wie zum Beispiel?«
»Wirkte er vielleicht übermäßig gestreßt oder angespannt? Mehr als üblich?«
Zögernd schüttelte Collin den Kopf. Er hatte keine Ahnung, wohin das Gespräch führen sollte.
»Ich fürchte, wir könnten ein kleines Problem bekommen, Tim. Ich glaube, der Präsident braucht unsere Hilfe. Sie sind doch bereit, ihm zu helfen?«
»Er ist der Präsident, Ma'am. Meine Aufgabe ist es, mich um ihn zu
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