Absolute Power (Der Präsident)
einen altmodischen, offenen Kamin zu konzentrieren, in dem bald ein Feuer knistern würde. Kaum hatte er den Rest des Biers hinuntergekippt, wünschte er sich schon ein weiteres. Er ließ sich in die weiche Polsterung zurücksinken. Zwar bemühte er sich wegzuhören, dennoch vernahm er jedes Geräusch, das sie verursachte. Schließlich konnte er nicht mehr widerstehen. Er drehte den Kopf, schielte durch die offene Tür. Mit leichtem Bedauern stellte er fest, daß es nichts zu sehen gab. Zunächst. Dann schritt sie an dem offenen Spalt vorbei.
Es dauerte nur einen Augenblick, während sie am Bettende innehielt, um irgendein Stück Wäsche anzuziehen. Stabschefin Gloria Russell nackt zu Gesicht zu bekommen traf Collin wie ein Schlag, obwohl er es irgendwie erwartet hatte.
Da nun feststand, wie die Nacht verlaufen sollte, wandte sich Collin wieder ab, vermutlich ein wenig zu langsam. Von der Bierdose leckte er die letzten Tropfen der goldgelben Flüssigkeit. Der Griff der neuen Waffe bohrte sich ihm in die Brust. Normalerweise fühlte sich das kalte Metall gut auf der Haut an. Heute tat es weh.
Seine Gedanken kreisten um die Regeln über interne Beziehungen. Es war bekannt, daß die Agenten des Secret Service der First Family sehr am Herzen lagen. Im Laufe der Jahre hatte es immer wieder Gerede über diverse Affären gegeben; die offizielle Haltung zu dem Thema war jedoch unmißverständlich. Sollte man Collin hier vorfinden, während sich im Nebenzimmer die nackte Stabschefin aufhielt, wäre er erledigt.
Fieberhaft überlegte er. Noch konnte er gehen und Burton Bericht erstatten. Aber wie sähe das aus? Russell würde alles leugnen. Collin stünde da wie ein Idiot, und seine Karriere wäre wahrscheinlich dennoch vorbei. Sie hatte ihn aus einem bestimmten Grund eingeladen, hatte gesagt, der Präsident brauche seine Hilfe. Im Augenblick fragte er sich, wem er wohl tatsächlich helfen sollte. Zum erstenmal fühlte sich Agent Collin gefangen. In der Falle. Seine Athletik, die raschen Reflexe, die 9mm, all das nutzte ihm hier und jetzt nicht das Geringste. Auf geistiger Ebene konnte er der Frau nicht das Wasser reichen. In der offiziellen Machthierarchie stand er so weit unter ihr, als starrte er mit einem Fernrohr aus einem Abgrund hinauf und könnte dennoch nicht einmal einen Blick auf ihre Absätze erhaschen. Er machte sich auf eine lange Nacht gefaßt.
Walter Sullivan schritt im Zimmer auf und ab, während Sandy Lord ihn beobachtete. Alles war wie immer, abgesehen vielleicht von der großen Flasche Scotch auf Lords Schreibtisch. Draußen durchbrach der gedämpfte Schein der Straßenlaternen die Finsternis. Die Hitze war kurzzeitig zurückgekehrt, und Lord hatte angeordnet, daß die Klimaanlage bei Patton, Shaw heute nacht für diesen ganz besonderen Gast eingeschaltet bleiben mußte.
Der Besucher unterbrach seine Wanderung und starrte auf die Straße hinunter. Ein paar Häuserblocks entfernt befand sich das vertraute weiße Gebäude, das Zuhause von Alan Richmond, der Schlüssel zu Sullivans und Lords Geldsegen. Heute nacht jedoch dachte Sullivan nicht ans Geschäft. Lord sehr wohl. Doch er war viel zu gerissen, sich das anmerken zu lassen. Heute nacht widmete er sich seinem Freund und Klienten. Er würde seinem Kummer lauschen, würde ihn sich alles von der Seele reden lassen, würde Sullivan die kleine Nutte beweinen lassen. Je rascher das erledigt war, desto eher konnten sie sich auf die wirklich wichtigen Dinge stürzen.
»Es war eine ergreifende Beisetzung, man wird sich noch lange daran erinnern.« Sorgsam wählte Lord die Worte. Walter Sullivan war ein alter Freund, doch die Freundschaft beruhte auf dem Verhältnis von Anwalt zu Klient, daher konnte sich das Fundament unvorhergesehen verschieben. Außerdem war Sullivan der einzige Mensch in Lords Umfeld, der ihn nervös machte; denn Lord wußte, daß er den alten Mann nicht völlig unter Kontrolle hatte. Sullivan war ihm zumindest ebenbürtig, wahrscheinlich sogar überlegen.
»Ja, war es.« Sullivan starrte weiter auf die Straße hinunter. Er nahm an, daß es ihm letztendlich gelungen war, der Polizei klarzumachen, daß der Einwegspiegel nichts mit dem Verbrechen zu tun hatte. Ob er sie völlig überzeugt hatte, stand auf einem anderen Blatt. Auf jeden Fall war es ein ziemlich peinlicher Augenblick gewesen, und Sullivan war dergleichen nicht gewohnt. Der Ermittler, an dessen Namen er sich nicht erinnern konnte, hatte ihm nicht den schuldigen Respekt
Weitere Kostenlose Bücher