Adams Erbe (German Edition)
befahl mir, Opa samt Kuchen auf den Dachboden zu geleiten.
Oben setzte er sich in den Sessel und stocherte in der Torte herum. »Ich wusste wirklich nicht, dass wir Besuch haben«, sagte er halb zu sich, halb zu mir, aber eigentlich zu Oma, die ihn nicht hören konnte, weil sie eine Etage tiefer saß.
Zu Lara Cohens Erleichterung bat der Professor meine Mutter um ein Wiedersehen, bevor er sich an diesem Tag verabschiedete.
»Ist er nicht wunderbar?«, fragte Oma erschöpft und glücklich.
Mama zuckte mit den Schultern, und diese offensichtliche Gleichgültigkeit ließ bei meiner Oma irgendetwas explodieren. Ihre sonst so kontrollierte Stimme überschlug sich: »Magda, worauf wartest du? Du bist kein junges Mädchen mehr. Dieser Professor ist das Beste, was dir passieren kann. Du kannst doch nicht für immer hierbleiben, und Edward braucht einen Vater.« Langsam dämmerte es mir, Oma wollte uns loswerden. »Vielleicht möchte ich auch noch etwas mit meinem restlichen Leben anfangen.« Und sie fügte hinzu, dass sie am liebsten alles verkaufen und nach England übersiedeln würde.
»Und Papa?«
»Deinem Vater täte es gut, dieses verdammte Land, diese verdammte Stadt und diese verdammte Wohnung endlich zu verlassen. Wir hätten niemals wiederkommen dürfen. Vergiftete Erinnerungen, vergiftet.«
»Aber er ist zu alt, du kannst ihn nicht…«
»Genug«, sagte Oma, stand auf, nahm ihren Mantel und ging aus der Wohnung.
Mama starrte auf den Boden, sie seufzte. Dann, bloß um irgendetwas zu tun, räumten wir den Tisch ab und spülten das Geschirr mit lächerlicher Ernsthaftigkeit. Als alles glänzte, nahm Mama zwei Teller, und wir aßen den restlichen Kuchen. Uns war schlecht, trotzdem stopften wir das süße Zeug in uns hinein. Hochkonzentriert. Die Torte war weg, aber jetzt hatten wir ja wieder dreckiges Porzellan. Langsam und sorgfältig erledigten wir diesen zweiten Spülgang.
Und dann gab es wirklich nichts mehr zu tun. Wie zwei ausgesetzte Hunde, die auf die Rückkehr ihres Herrchens hofften, standen wir in der Küche. Nur dass wir auf nichts Bestimmtes warteten.
Drei Tage später klopfte abends Herr Professor Doktor Strombrand-Rosselang an unserer Tür, um Mama abzuholen.
»Blumen für die Frau Cohen, Blumen für das Fräulein Cohen und Schokolade für den Nachwuchs«, sagte er und überreichte seine Gaben mit einer kleinen Verbeugung.
»Herr Professor, das war aber nicht nötig.« Meine Großmutter strahlte. »Was für bezaubernde Blumen. Bezaubernd.«
Und wieder verbeugte der Professor sich.
Oma und ich sahen den beiden von der Schwelle aus hinterher, als sie die Treppen hinunterstiegen. Meine Mutter drehte sich noch einmal um und lächelte traurig. Ich wollte sie zurückholen, aber ehe sich meine Beine in Bewegung setzen konnten, zog Oma mich in die Wohnung und schloss die Tür.
»So, hoffen wir das Beste«, sagte sie.
Oma und ich aßen in der Küche. Zur Feier des Tages gab es mein Lieblingsessen, Nudelsuppe. Aber an diesem Abend schmeckte die Suppe genauso urinlastig wie der Tee meiner Klavierlehrerin. Meine Gedanken waren bei Mama.
»Edward, schmeckt es dir nicht?«, fragte Oma gereizt.
»Doch.«
»Dann ist ja gut, weil du…«
Sie hielt inne. Ein Geruch nach Aftershave und Duschgel strömte in die Küche. Moses trug einen Anzug, ein Hemd mit gesteiftem Kragen, die Schuhe waren auf Hochglanz poliert, die Krawatte sorgfältig gebunden und das Gesicht glattrasiert. Mit unsicheren Schritten näherte er sich dem Tisch.
»Darf ich?«
Er setzte sich. Für einen Moment wich die Härte aus Omas Gesicht. Sie stand auf und brachte ihm einen Teller Suppe. Seine Hand zitterte, die Nudeln wollten einfach nicht auf dem Löffel bleiben.
»Langsam Moses, langsam«, sagte Oma und streichelte kurz seinen Arm. Erst als sie es ein zweites und ein drittes Mal tat, verstand ich, dass es nicht absichtslos geschah. Moses’ Hand wurde ruhig, und die Nudeln blieben auf dem Löffel.
Nach dem Essen brachte Oma ihren Mann auf den Dachboden. Ich hockte mich auf die unterste Stufe der Wendeltreppe und lauschte. Aber es fiel kein Wort über Lara Cohens Plan, nach England zu ziehen und Mama und mich loszuwerden. Zuerst war es still. Dann beteten sie gemeinsam zu Moses’ einzigem Gott. Der hebräische Singsang surrte in meinen Ohren, und auch ich begann zu beten, oder besser gesagt zu betteln. »Lass den Professor wieder verschwinden. Lass Mama und mich hier.«
Ich lag in meinem Bett und wartete auf Mamas Rückkehr.
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