Albert Schweitzer
auf sich geladen hatten. Schweitzer bekannte mehrfach, dass es für ihn ein großer Glücksfall gewesen sei, den Kranken in Lambarene zu Hilfe kommen zu dürfen. Nicht jedem, der willens ist zum Dienst am Mitmenschen, kann dieses Glück beschieden sein. Aber jeder kann seinen Beitrag zur humanitären Hilfe leisten, wenn er sich aufmerksam umsieht, wo solche Hilfe nötig und ihm möglich ist. Mag ein solcher Beitrag auch noch so klein und unscheinbar anmuten, so ist er doch von Wichtigkeit!Einem kranken Nachbarn zu helfen; einem einsamen Menschen die Stunden des Alleinseins zu verkürzen; ein trauriges Kind zu trösten; einem Menschen in der Trauer beizustehen – all das sind kleine, aber wichtige Taten der Menschenliebe, hervorgegangen aus der Bereitschaft zum Dienst am Menschen. Und Schweitzer hat ohne Zögern bejaht, dass auch ein Mensch, der sich im Tierschutz engagiert, damit einen wichtigen Beitrag zu einer friedlicheren, freundlicheren Welt leistet.
In einer Predigt konnte der „afrikanische Elsässer“ seinen Zuhörern sagen: „Dienen, das ist der tiefe Sinn des Lebens, doch jeder muss suchen, welche Art des Dienens ihm bestimmt ist.“ Schweitzer hat in Lambarene seinen Weg des Dienens finden können, aber jeder kann „sein“ Lambarene finden, wenn er nur bereit ist, seinem fühlenden Herzen zu folgen. In derselben Predigt hat Schweitzer davon gesprochen, dass demjenigen, der zum Dienen bereit ist, auch die Seligkeit des Dienens erfahrbar wird.
Der Dienst an den Bedürftigen war für ihn die „Nagelprobe“ des Christentums. In unmissverständlicher Klarheit und Deutlichkeit hielt Schweitzer dies den christlichen Völkern vor Augen: „Draußen in den Kolonien geht es trostlos zu. Wir – die christlichen Nationen – schicken den Abschaum unserer Gesellschaft hin; wir denken nur daran, wie wir aus den dortigen Menschen viel herausziehen … kurz, was draußen vorgeht, ist ein Hohn auf Menschheit und Christentum. Soll dieSchuld einigermaßen gesühnt werden, so müssen wir Menschen hinausschicken, die im Namen Jesu Gutes tun, nicht ‚bekehrende‘ Missionare, sondern Menschen, die das an den Armen tun, was man tun muss, wenn die Bergpredigt und die Worte Jesu zu Recht bestehen. Bringt das Christentum dies nicht fertig, so ist es gerichtet.“
Die Reihe der positiven Charaktereigenschaften, die man Schweitzer attestiert hat, ließe sich mühelos fortsetzen: zuverlässig, glaubwürdig, aufrichtig, bescheiden, verzeihend, hilfsbereit, großherzig, heiter trotz großer Ernsthaftigkeit seines Denkens, liebevoll – um nur einige zu nennen. Ist das Heldenverehrung? Eher ist es ein Ausdruck der Tatsache, dass viele ihn als wahrhaft außergewöhnliche Persönlichkeit wahrgenommen haben. Dass Schweitzer zu all dem auch noch über eine gehörige Portion Humor verfügte, soll nicht verschwiegen werden. Im Gegenteil, es ist zum Verständnis des Menschen Albert Schweitzer so unverzichtbar, dass ich dem Thema „Humor bei Albert Schweitzer“ ein eigenes kleines Kapitel gewidmet habe.
Schweitzer hat oft betont, dass die Seele eines Menschen letztlich ein Geheimnis bleibt, vor dem wir Respekt haben sollen. Im Bemühen darum haben wir ein paar flüchtige Blicke auf den Menschen Albert Schweitzer geworfen. Im Folgenden werden wir die wichtigsten Stationen seines langen, facettenreichen Lebens nachzeichnen.
Das Leben
K INDHEIT UND J UGEND
Kaysersberg heißt der Geburtsort im Elsass. Am 14. Januar 1875 kam Albert Schweitzer als zweites von insgesamt fünf Kindern des protestantischen Pfarrers Ludwig (Louis) Schweitzer und dessen Frau Adele (geborene Schillinger) zur Welt. In seinen Kindheitsund Jugenderinnerungen schildert Schweitzer, er habe sich als Knabe sehr viel darauf eingebildet, in der Stadt des berühmten mittelalterlichen Predigers Geiler von Kaysersberg (1445–1510) und zudem noch in einem ausgezeichneten Weinjahr geboren zu sein.
Das Elsass war seit dem 9. Juni 1871 staatsrechtlich von Frankreich abgelöst und gehörte nun „für immer“ dem Deutschen Reich an. Dieses „für immer“ dauerte nicht lange. Als das Elsass durch die Wirren des Ersten Weltkriegs wieder zu Frankreich kam, war das für Schweitzer eine der schwersten Krisen seines Lebens.
Albert war also Deutscher, als er 1875 geboren wurde. Als er sechs Monate alt war, wurde dem Vater die Pfarrstelleim nicht weit entfernten Günsbach angetragen. Günsbach blieb zeitlebens Schweitzers europäische Heimat und ist bis auf den heutigen Tag
Weitere Kostenlose Bücher