Albert Schweitzer
wird diese Haltung verstehen können und gutheißen. Schweitzer war sich seines Weges sicher, er ist ihn konsequent und in sich ruhend gegangen, trotz aller Höhen und Tiefen, die seinen Lebensweg ja auch markiert haben.
Er hat gelitten am Leid und Weh in dieser Welt, schon als Kind und Jugendlicher, erst recht als Erwachsener. Aber er ist nicht in der Resignation vor diesem Elend der Welt verharrt, sondern hat in aufrichtiger Menschenliebe und Lebensbejahung auf das Leiden der afrikanischen Mitmenschen reagiert, hat seine Verantwortung für die Mitgeschöpfe in Ehrfurcht vor allem Lebendigen angenommen. Das macht ihn so glaubwürdig und über die in manchen Punkten sophistische Kritik erhaben.
Karl Barth, einer der großen protestantischen Theologen des vergangenen Jahrhunderts und als Hauptvertreter der dialektischen Theologie gewiss nicht auf der Linie des liberalen Theologen Albert Schweitzer (die beidenhaben sich in milder Polemik gegenseitig als Häretiker bezeichnet) sagte in seiner letzten Vorlesung an der Basler Universität im Wintersemester 1961/62 über den Urwalddoktor: „Könnte ein so problematischer Theologe wie Albert Schweitzer nicht – immer gerade vom Gegenstand der Theologie her gesehen – das bessere Teil erwählt haben und mit ihm die ersten Besten, die da und dort ohne alle theologische Besinnung versucht haben, Wunden zu heilen, Hungrige zu speisen, Durstige zu tränken, elternlosen Kindern eine Heimat zu bereiten?“
Barths Frage ist rhetorisch: Gewiss hat Schweitzer den besseren Part erwählt, indem er seine „umstrittene“ Theologie, seine von manchen akademisch für nicht ausgereift gehaltene Philosophie durch ein praktisches Christentum in konsequenter Nachfolge Jesu veredelt hat! Der Verzicht auf eine abgesicherte (und vermutlich glänzende) Universitätskarriere, seine bewusste Entscheidung für den hingebungsvollen Dienst am bedürftigen Mitmenschen in Afrika verliehen seinem geistigen Werk eine so hohe Glaubwürdigkeit, dass alle Kritik an ihm zweitrangig wirkt. Er wollte nicht das wohlsituierte Leben als Theologieprofessor, sondern suchte zielstrebig und fand die Einheit von Denken und Handeln.
Das einfache und doch so wirkmächtige Jesus-Wort „Du aber folge mir nach“ (Matthäus 9,9) war theologisch der entscheidende Impuls, der Schweitzers Leben die Richtung wies. Harald Steffahn hat seine erste Schweitzer-Biografie aus dem Jahre 1974 unter diesemTitel erscheinen lassen und darin einfühlsam und glänzend belegt, wie sehr Albert Schweitzers Leben und Werk durch den Mann aus Nazareth geprägt waren: „Der Einfluss, den Jesus auf Schweitzers geistiges Werden von Kindheit an ausgeübt hat, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Eine große innere Nähe überbrückte Zeiten und Räume, und am Ende lesen sich Mitleid und Opferbereitschaft, Dankbarkeit und Verzicht in Schweitzers Leben wie Gleichnisse aus dem Neuen Testament.“
Schweitzer selbst beendete sein großes theologisches Hauptwerk „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ (1913) mit den Worten: „Als ein Unbekannter und Namenloser kommt er zu uns, wie er am Gestade des Sees an jene Männer, die nicht wussten, wer er war, herantrat. Er sagte dasselbe Wort: Du aber folge mir nach! Und stellt uns vor die Aufgaben, die er in unserer Zeit lösen muss. Er gebietet. Und diejenigen, welche ihm gehorchen, Weisen und Unweisen, wird er sich offenbaren in dem, was sie in seiner Gemeinschaft an Frieden, Wirken, Kämpfen und Leiden erleben dürfen, und als ein unaussprechliches Geheimnis werden sie erfahren, wer er ist …“ Diesem gebieterischen Ruf ist er gefolgt.
Was war er für ein Mensch, dieser Albert Schweitzer? Seine Fähigkeiten sind beeindruckend: Theologe, Philosoph, Orgelvirtuose und -bauer, Arzt, Architekt tropentauglicher Wohnungen, Schriftsteller, Handwerker, Viehzüchter, Landwirt … Allesamt Aufgabenbereiche,die für sich allein ein Menschenleben ausfüllen könnten. Er hat sie in sich zu vereinigen gewusst. Im Zeitalter immer größer werdenden Spezialistentums mutet die Vielfalt der Tätigkeitsbereiche, in denen Schweitzer sich kompetent bewährte, schier unglaublich an. Ein Tagesablauf, ausgefüllt bis zum Äußersten, was ein Mensch zu leisten imstande ist – und das bis ins hohe Alter hinein, ja eigentlich bis kurz vor seinem Tod im gesegneten Alter von neunzig Jahren.
Heute kursiert das hässliche Wort vom „workaholic“ als Bezeichnung für Menschen, die süchtig zu sein scheinen nach Arbeit,
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