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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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lausekalt, und den letzten Rest meiner Neugierde hatte mir der kalte Wind aus dem Kopf gepustet. Ich beschleunigte meinen Schritt und freute mich auf meine warme Wohnung und einen heißen Kaffee. Wenn Lea an dem Wagen des Unfallverursachers etwas aufgefallen war, dann musste es so eindrucksvoll gewesen sein, dass sie sich viele Monate später plötzlich wieder daran erinnerte. Vielleicht erst in der Sekunde, als sie den Wagen zum zweiten Mal sah?
    Abgesehen von vereinzelten griesgrämig dreinschauenden Hundehaltern war ich der einzige Fußgänger weit und breit. Ich erreichte die Kleinschmidtstraße, stand kurze Zeit später atemlos vor meiner Haustür, steckte den Schlüssel nach einigem Zögern wieder ein und lief weiter in Richtung Direktion.
    Mit einem großen, duftenden Cappuccino setzte ich mich an meinen Schreibtisch mit dem festen Vorsatz, spätestens gegen zwölf, wenn meine Töchter voraussichtlich wieder zum Leben erwachten, zu Hause zu sein. In der Direktion war es herrlich still. Auf den Straßen war zu wenig Verkehr für Unfälle, auch Verbrecher haben einen gewissen Respekt vor hohen Feiertagen, und die großen Familienkrisen kamen meist erst am zweiten Feiertag.
    Ich nahm mir die Liste der Telefonnummern noch einmal vor, die Lea an den Tagen vor ihrem Verschwinden auf ihrem Handy gewählt hatte. Natürlich hatte Klara Vangelis längst und mit ihrer üblichen Gewissenhaftigkeit alle Gespräche abgeklärt. Aber vielleicht hatte sie sich dabei nicht die richtigen Fragen gestellt, weil sie die richtigen Fragen noch nicht kannte.
    Wie alle weiblichen Teenager hatte Lea viel und lange telefoniert, vor allem mit alten Freundinnen in Bad Homburg oder neuen Partybekanntschaften. Manche Gespräche hatten über eine Stunde gedauert, andere nur wenige Sekunden.
    Zwei Tage bevor die Liste abbrach, hatte sie nachmittags gegen vier mit ihrer Frauenärztin telefoniert. Der anhängenden Notiz entnahm ich, dass sie ein neues Rezept für ihre Pille benötigte. Eine Stunde später ein etwas längeres Gespräch mit ihrem Mathematiklehrer. Den kannte ich sogar persönlich, denn seit anderthalb Jahren unterrichtete Oberstudienrat Werner Plakowsky auch meine Töchter in Mathematik und Physik, und ich hatte ihn bei Elternabenden kennen und schätzen gelernt. Auch die meisten Schüler mochten ihn, und nicht wenige Mädchen himmelten ihn vermutlich an. Plakowsky galt als sportlicher Kumpeltyp, der selbst auf die dümmsten Schülerfragen ernsthaft einging, auch derbe Scherze nicht krummnahm, bei der Benotung gerecht war und seinen Stoff gut erklären konnte. Lea hatte ihn wegen einer Hausaufgabe angerufen, hatte Vangelis notiert. Wegen einer Differenzialgleichung, die sie nicht lösen konnte. Nur zur Sicherheit, und weil die Liste schon fast zu Ende war, überprüfte ich, welchen Wagen Plakowsky fuhr – einen silbergrauen Renault Mégane älteren Baujahrs.
    Ich warf die Papiere auf meinen Schreibtisch und nippte an meiner Tasse. Dann nahm ich die Brille ab und massierte meine Augen. Draußen regnete es jetzt stärker, und dazwischen sah ich die ersten, pappigen Flocken fallen. Vielleicht würde es zu Weihnachten doch noch den Schnee geben, den sich meine Töchter so sehr wünschten. Vielleicht würden wir morgen zum Alten Kohlhof hinauffahren und nach Jahren wieder einmal unserem Schlitten Bewegung verschaffen? Und sollte ich jetzt nicht zu Hause sein und zum Beispiel endlich Theresas Buch lesen?
    Ich legte den Kopf in den Nacken, betrachtete die Zimmerdecke, wo vor Monaten ein kleiner Wasserfleck aufgetaucht war, von dem niemand sagen konnte, woher er kam, der aber auch nicht größer zu werden schien. Ich setzte die Brille wieder auf und nahm mir die Liste der Handygespräche noch einmal vor. Blieb wieder an Werner Plakowsky hängen, dem netten Mathelehrer.
    Ein Lehrer, ein Lehrer …
    Das Auto seines Lehrers sieht man als Schüler hin und wieder. Falls er nicht mit dem Rad zur Arbeit kommt. Plakowsky wohnte in Oftersheim, fand ich rasch heraus. Für Hardcore-Biker nicht zu weit, um mit dem Rad nach Heidelberg zu pendeln. Er könnte natürlich auch ebenso gut mit dem Zug …
    Immer wieder wanderte mein Blick die Liste hinauf und hinab.
    Schließlich nahm ich mein Handy zur Hand und schrieb eine SMS an meine Töchter in der Hoffnung, sie seien vielleicht doch schon wach. Ich bat sie zu überlegen, ob es an Plakowskys Renault irgendeine Auffälligkeit gab. Dann schob ich die Liste zur Seite, leerte in kleinen Schlucken meine

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