Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
1
Jetzt saß Plotek nicht am Tresen vom Froh und Munter , seiner Lieblingsgaststätte in München, Stadtteil Neuhausen. Wie normalerweise immer. Er trank auch kein Weißbier. Kein Unertl, auch sonst nichts. Jetzt war alles anders. Wenn er nicht achtgab, würde alles anders bleiben. Plotek saß auch nicht, sondern lag, ausgestreckt in einem Bett wie auf einem Seziertisch. Um ihn herum war alles weiß. Laken, Decke, Wände. Als wäre er nicht bei vollem Bewusstsein, sondern mitten in einem Werbespot für Waschmittel.
Gleich kommt Klementine hinter dem weißen Vorhang hervor, dachte er, und schmeißt mit Bunt-, Voll- und Feinwaschmittel um sich. Nicht nur sauber, sondern rein! – und der ganze Dreck. Aber keine Chance. Klementine kam nicht, weil Klementine auch schon tot war. Dafür tauchte jemand anderes in seinem Blickfeld auf, und Plotek hatte auf einmal das Gefühl, dass diese Person schon länger da war. Susi!
Was macht die denn hier?, dachte er und wunderte sich, dass die Wirtin vom Froh und Munter nicht hinter dem Tresen ihrer Kneipe stand, sondern hier, neben seinem Bett, in diesem … er stockte.
Wo befand er sich eigentlich? In einem Krankenzimmer, klar, so sah es zumindest aus. In einem Krankenzimmer in einem Krankenhaus. Er, Plotek, war der Patient und Susi die Besucherin. Und noch einer stand am Bett und sah auf Plotek herunter wie auf ein leckeres Schweineschnitzel, das er gleich mit einem Plattiereisen ordentlich in die Mangel nehmen würde.
Was macht denn mein Hausarzt in diesem Krankenhaus?, dachte Plotek, als Dr. Hohenthaler mit belegter, auch besorgter Stimme sagte: »So geht das nicht weiter, Herr Plotek.« Er machte eine kurze Pause und sah ihn dabei an, als wäre das Bindegewebe wegen dem Fleischklopfer schon ziemlich hinüber.
»Sie müssen etwas verändern, Herr Plotek. Mit sich und Ihrem Leben.«
Das klang jetzt wie ein Ratschlag aus einem dieser Gesundheitsratgeber von den Wühltischen bei Hertie oder aus der kostenlosen Apotheken Umschau . Hohenthalers Stirn kräuselte sich dabei, und seine Stimme rutschte in einen Tonfall ab, der auszudrücken schien, dass es für eine Veränderung längst zu spät und dieses Leben bereits zu Ende sei. Wie zur Bestätigung waren plötzlich entsetzliche gutturale Laute neben Ploteks Bett zu hören. Es klang, als wäre im Bett nebenan jemand mit dem Tod in eine kleine Meinungsverschiedenheit geraten und als könnte er sich nur unzureichend verständlich machen, warum er noch ein bisschen am Leben bleiben wollte. Oder anders ausgedrückt: Allem Anschein nach biss hier gerade jemand ins Gras. Plotek drehte den Kopf und konnte im anderen Bett einen alten Mann erkennen. In diesem Augenblick fiel ihm ein, dass der Alte schon dort gelegen hatte, als er selbst zum ersten Mal aufgewacht war. Nur dass er da noch deutlich besser ausgesehen hatte. Jetzt erinnerte seine Gesichtsfarbe an den eines Zigarettenfilters. Der Mund war weit aufgerissen, und die hervorquellenden Augen suchten die Decke hektisch nach was auch immer ab. Auch Dr. Hohenthaler schien von dem Alten irritiert. Susi wiederum nahm das Röcheln des Wracks offenbar zum Anlass, um die Befürchtung Hohenthalers noch ein wenig zuzuspitzen.
»Sonst ist bald nichts mehr mit dir und deinem Leben.« Sie sagte es mit Blick auf den Alten und einer Stimme, die weniger besorgt als entschlossen klang.
Der Mann im Bett nebenan verstummte schlagartig. Nur die Augen rasten nach wie vor an der Decke hin und her.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, versuchte sich Dr. Hohenthaler nicht weiter ablenken zu lassen. »Ein früherer Kommilitone von mir, Dr. Matteo Wehrli, betreibt eine Privatklinik in der Schweiz. Er ist ein Experte, schulmedizinisch, aber auch was die Alternativmedizin anbetrifft. Sie wissen schon: komplementärmedizinische Behandlungsmethoden, also Naturheilverfahren, Körpertherapie, Entspannung, Osteopathie, Chirotherapie, Akupunktur und das alles. Ganzheitlich halt.«
Plotek schaute offenbar, als referiere der Doktor über eklige menschliche Abgründe, denn schnell ergänzte dieser: »Ich bin sicher, mein Kollege kann Ihnen helfen. Lassen Sie sich mal zwei bis vier Wochen verwöhnen, und Sie werden sehen, Ihr Körper und Ihr Geist sind anschließend wieder auf der Höhe.«
Die Falten auf Dr. Hohenthalers Stirn waren wieder verschwunden, als würde ihn allein der Gedanke an die Behandlung beim Schweizer Experten entspannen.
»Was halten Sie davon?«
Noch ehe Plotek reagieren konnte, meldete sich
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