Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Alltagsrhythmus Martin Schlossers an. Fühlt und denkt und lebt wie damals. (Nur lacht man heute präziser.) Ja, man erfüllt sich im Ansatz einen Menschheitstraum: eine Reise in die Vergangenheit.
Mit dem jüngsten Roman hat sich die stark autobiographisch gefärbte Reihe zu einer Tetralogie aufgestockt. Und in der diesjährigen Verleihung des
Hannelore-Greve-Preises an den Autor (es ist nach 34 Büchern in fünfzig Lebensjahren sein erster!) einen einstweiligen Höhepunkt der Anerkennung
gefunden. Ihr Ende jedoch keineswegs. Der fünfte Teil wird, so viel steht bereits fest, »Bildungsroman« heißen. Nach meiner Einschätzung wird die
Polylogie aber eh immer weitergehen, und bei dem Schreibtempo wird olle Gerd-Martin die Vergangenheit eines Tages überwinden und sodann die Gegenwart
einholen, ja souverän an ihr vorbeiziehen – in eine Zukunft, die glorreich werden wird. Wetten? In zwanzig Jahren sprechen wir uns wieder!
»Das meiste ist ja banal, was nicht heißt, daß es nicht komisch ist.
In der Banalität sind die feinsten Sachen drin. Delikatessen geradezu.”
Gerhard Polt
«But it's not to stand naked under unknowin' eyes,
It's for myself and my friends my stories are sung.”
Bob Dylan
Kindheitsroman
L icht ausmachen, Handflächen neben die Augen legen und durchs Fenster schräg nach oben kucken, in den fallenden Schnee: Dann hatte man das Gefühl, man würde fliegen, zwischen den Schneeflocken durch.
Das hatte Renate mir beigebracht.
Ich und du, Müllers Kuh.
Renate hatte vorne einen braunen Leberfleck am Hals. Daran war sie immer zu erkennen.
Da war ein Weg, wo Mama sich mit anderen Müttern unterhielt, die auch alle Kinderkarren dabeihatten. Die Sonne schien, und über eine Mauer hingen Zweige runter mit roten Beeren.
Ich hatte Krümel aus dem Graubrot im Netz gepult. Wegen dem Loch im Brot kriegte ich zuhause keine Bombongs.
Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast.
Meins war das Lätzchen mit den Marienkäfern. Ein Löffel für Oma, ein Löffel für Opa, bis unten im Teller die schwarzen körnerpickenden Hühner auftauchten. Mein Löffelstiel war zur Seite gebogen.
Ein Löffel für Martin. Das war ich selbst. Martin Schlosser. »Nicht träumen!« Nach dem Essen leckte Mama einen Lätzchenzipfel an und wischte mir damit den Mund ab. Bim, bam, beier, die Katz mag keine Eier.
Volker hatte Murmeln mit farbigen verdrehten Schlieren innendrin.
Wenn Papa gute Laune hatte, ließ er mich kopfüber an der Decke langspazieren oder kitzelte mich durch: »Prr-prr-prr-prr-prr!«
Papa roch nach Pfeife, und ihm wuchsen graue Haare aus der Nase.
Auf Papas Knien: So fahren die Damen, so fahren die Damen – so reiten die Herren, so reiten die Herren – und so reitet der Bauersmann, der nicht besser reiten kann. Da fiel ich immer fast runter.
Leute, die uns besuchten, kriegten vom Wohnzimmer aus die Festung Ehrenbreitstein gezeigt und die Striche an der Kinderzimmertür: wie groß ich wann gewesen war.
Die Jalousie war grün.
Bei der roten Autokiste im Kinderzimmer war das Lenkrad ab.
Im Doppelstockbett durfte Volker oben schlafen, weil er drei Jahre älter war als ich. Dafür war er drei Jahre jünger als Renate.
Zum Beten faltete Mama ihre Hände über meinen. Lieber Gott, mach mich fromm, daß ich in den Himmel komm.
»Und jetzt will ich keinen Mucks mehr hören!«
Meine Beine waren mit Bademantelgürteln an die Bettpfosten gebunden, eins links und eins rechts, damit ich die Decke nicht abstrampeln konnte.
Maikäfer, flieg!
Unten auf dem Hof machte Mama ein Foto von Volker und mir auf dem Dreirad. Volker fuhr, und ich stand hinten auf der Stange.
An den Sandkasten kam man nicht ran, der war immer besetzt.
Ein Kind hatte auch einen Ball.
Der Hof war voller Rauhbeine, die den Mädchen hinten den Rock hochhoben: »Deckel hoch, der Kaffee kocht!«
Straßenwörter, die nicht in die Wohnung gehörten, waren Scheiße, Kacke, Arsch und Sau.
Einmal machte Renate mit ihren Freundinnen eine Puppenmuttiparade vom Hof bis zum Rheinufer, und die Puppen kriegten das Deutsche Eck gezeigt.
Ulrike Quasdorf hatte den schlechtesten Puppenwagen. Die Räder eierten und quietschten, und vorne fehlte eins.
Ihre neue Puppe Annemarie hieß so wie eine Frau aus der Tagesschau. Annemarie war besser als Renates alte Puppe Christine, die nur aufgemaltes Haar hatte. Annemarie hatte echtes und machte immer Bäh, wenn sie auf dem Kopf stand. Das Bäh kam aus einem Sieb am
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