Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Vorwortroman
von Frank Schulz
Eins sag ich gleich: Angefangen mit der gegenseitigen Handwäsche hat Gerd! Vor zwanzig Jahren lobte er meinen ersten Roman, auf daß ich zehn Jahre später seinen Briefroman Die Liebenden (Hoffmann und Campe, 2002) lobte. (Jetzt schreiben wir 2012, und weil in zehn Jahren wieder ich von ihm gelobt werden will … Sie verstehen?)
Ach was, Henschel fand ich schon immer gut – seit seinen ersten Texten im komischen Hamburger Magazin Kowalski (ebenfalls vor zwanzig Jahren). Im Fall der Liebenden zwickte mich allerdings eine Irritation: Er hatte das Buch ja nicht de facto »geschrieben«, sondern realiter nachgelassene Schriftstücke seiner Familie zu einem Briefroman komponiert – das allerdings eben mit tiefgründig prosaisch-poetischem Blick. Auf meine zwecks Porträt diesbezügliche Interviewfrage antwortete Henschel damals, ihn interessierten derlei »philologische Spitzfindigkeiten« nicht . Hat mich beeindruckt. Zeigte er damit doch bei allem stets bewiesenen Selbstbewußtsein unmißverständlich seine Priorität auf: Werk über Autor. Muß ja nicht so selbstverständlich, wie es klingt, im Selbstverständnis eines Verfassers liegen, dessen Publikations-, also Präsenzfrequenz im seriösen Marktsegment schon des damaligen Betriebs ihresgleichen suchte.
Und wo wir grad bei Prioritäten sind: Die nächsthöhere wäre wohl Sprache über Werk. Schwurbelei ist Henschels Problem ohnehin nie gewesen; mit welcher Lust er aber zum Beispiel in den Untiefen schnöder Grammatik badet, soll pars pro toto folgender Mailwechsel belegen:
Lieber Frank, nur eine Anmerkung: In dem Zitat von Wackwitz steckt meiner Meinung nach ein Fehler. Es müßte »eines der sowieso Bücher, d a s ich seit langem gelesen habe« heißen und nicht, wie Wackwitz schrieb, »d i e ich seit langem gelesen habe«. Herzlich, Gerd
Lieber Gerd, neenee, das ist richtig so. Kann sich ja nur auf »Bücher« beziehen. Eines von den Büchern, die ich gelesen habe. Herzlich, Frank
Lieber Frank, von den Büchern eines, die ich seit langem gelesen habe? Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt. Herzlich, Gerd
Lieber Gerd, Wackwitz schrieb: »eines der rührendsten, artistischsten und intelligentesten Bücher, die ich seit langem gelesen habe«. Heißt, er hat ein paar rührende, artistische und intelligente Bücher gelesen, von denen Deines eines der rührendsten, artistischsten und intelligentesten sei. So ist es richtig. Denn wenn man, wie Du vorschlugst, schriebe: »eines der sowieso Bücher, d a s ich seit langem gelesen habe«, das wär ja auch Quatsch. Ein Buch, das ich seit langem gelesen habe? Herzlich, Frank
Lieber Frank, unschön wäre es doch aber, wenn jemand schriebe: »Eines der besten Bücher, die ich seit langem gelesen habe.« Besser als »Eines der besten Bücher, das ich seit langem gelesen habe« wäre dann vielleicht »Seit langem eines der besten Bücher, das ich gelesen habe«. Oder nit? Seit langem einer der schönsten Grüße, Gerd
Lieber Gerd, usw. usf.
Hier hat er selbstredend ausnahmsweise unrecht, aber sonst ist Henschels Sprache korrekt und klar. Sprich: außerordentlich lektürefreundlich. Und darüber hinaus in so geringem Maße mit einem, sagen wir mal: »Auktorial-Ego« belastet wie sonst im deutschsprachigen Raum vielleicht nur noch etwa, sagen wir mal, Uwe Timms.
Ausgerüstet mit derlei präzisem Werkzeug, war Henschel zum Zeitpunkt der Liebenden seit langem reif für die Pressung von Fünfhunderter-Briketts aus den Schätzen seiner höchsteigenen Wortflöze. Zu dem Unterfangen, dessen erste Auswirkungen uns hier vorliegen, hat ihn jene editorische Beschäftigung mit seiner Familiengeschichte animiert und inspiriert. In puncto Sammelwut eh Wahlverwandter Walter Kempowskis, mit dem ihn eine hochachtungsvolle Kollegialität und persönliche Bekanntschaft verband, reicht Henschels Archiv an dasjenige Haus Kreienhoops zwar wohl nicht heran. Würde mich aber nicht wundern, wenn es das einst täte.
Die Vorbildfunktion des großen deutschen Chronisten jedenfalls erstreckt sich bis in die Struktur von Henschels Erinnerungsprosa. In parataktischer Anordnung von Engramm auf Engramm à la Tadellöser & Wolff schlägt er leichthändig einen unsentimentalen Bogen von Memory-Motiven, deren Doubletten die Leser/innen unserer Generation oft in ihrem eigenen Gedächtnis finden. Ohne weiteres geht’s los und dann chronologisch voran, Satz für Satz, Absatz für Absatz, Seite für Seite, ohne
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