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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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1.
     
    Marie wusste, wie es in Kundus aussah.
    Diese Stadt glich ein wenig der Burg Liechtenstein. Als Kind war sie mit den Eltern oft dort gewesen. Auf dem Rasen des Burghofes hatten an Sonntagen Holzbänke und Tische gestanden. Die Männer hatten sich mit weißen Taschentüchern den Schweiß von der Stirn gewischt und Bier aus Flaschen getrunken. Die Frauen hatten darauf geachtet, dass sie ihre Sonntagskleider nicht schmutzig machten, und die Kinder hatten zwischen den Ruinen Räuber und Gendarm gespielt.
    Karl hatte ihr einmal geschrieben, der größte Feind sei der Regen. Nicht die Taliban.
    Kundus verwandle sich sofort in ein riesiges Matschloch und sei dann wochenlang vom Rest der Welt abgeschnitten. Die Flugzeuge aus Kabul könnten nicht mehr landen. Die ganze Gegend sei ein einziger Sumpf, die Menschen bekämen ihre Kleider nicht mehr trocken.
    Es war wie bei einem Volksfest. Laut lachende Leute, deren Kleider mit Lehm beschmiert waren.
    So stellte Marie sich das vor.
    Sie ahnte, dass es ganz anders war. Aber sie brauchte eine Vorstellung von Kundus. Solange ihr Mann sich dort aufhielt, brauchte sie ein Bild von dieser Stadt. Und da war ihr die Burg Liechtenstein im Dauerregen gerade recht. Es machte das Ganze erträglicher. Es gelang ihr mit Hilfe der Erinnerung an ihre Familienausflüge nach Liechtenstein sogar, Felix ein Bild davon zu vermitteln, wie sein Vater in Kundus lebte. Wahrscheinlich wusste der Junge selbst, dass er ihren Schilderungen nicht trauen konnte. Aber es ging ihm wie ihr: Es war ihm lieber so. Lieber, als beim Gedanken an den Vater nur verschwommene Fernsehbilder zusammenzubekommen, auf denen die schwarzen Gerippe von Autos zu sehen waren und ausgemergelte Männer, die mit Wasserschläuchen Marktplätze vom Blut reinigten.
     
    Marie bemerkte den Wagen, als sie nach dem Abendessen den Tisch abräumte.
    Er stand auf der anderen Straßenseite, mit den Vorderrädern schon im Sand der Dünen. Ein roter Golf. Das Kennzeichen war so schmutzig, dass Marie nicht feststellen konnte, woher das Auto kam. Es war kurz nach sieben.
    Marie überwachte das abendliche Zeremoniell. Felix putzte sich die Zähne, wusch erst nach mehrmaliger Aufforderung Gesicht und Hände und versuchte, aus dem Badezimmer unbemerkt wieder ins Wohnzimmer zu schlüpfen, wo der Fernseher lief. Natürlich wäre es klüger gewesen, den Apparat abzuschalten. Aber dann sperrte sich Felix noch mehr dagegen, schlafen zu gehen. Er hasste es, wenn es still im Haus war. Marie hasste es auch. Seit Karl weg war, konnte sie keine Stille mehr ertragen. Zumindest nicht, bevor sie sich selbst schlafen legte. Also lief der Fernseher, bis Felix im Bett war. Er lief auch noch, während sie ihm vorlas.
    Sie hatten schon damit aufgehört. Ein Achtjähriger – Felix wurde in sechs Wochen schon neun – sollte abends selbst lesen. Es hatte sogar funktioniert. Doch dann war Karl nach Afghanistan gegangen und Felix hatte Abend für Abend zu schluchzen begonnen, sobald er im Bett lag. Also hatte sie wieder angefangen, ihm vorzulesen.
    Marie klappte das Buch zu. Felix vergewisserte sich, dass das Lesezeichen an der richtigen Stelle war. Dann deckte Marie ihn zu und küsste ihn. Felix gähnte. Es war schon gleich acht.
    Im Fernsehen begannen die Nachrichten. Marie stellte den Apparat leiser. Das machte sie schon, ohne zu überlegen. Immer wenn Nachrichten kamen. Man konnte ja nie wissen. Es gab kaum einen Tag, an dem sie nicht etwas aus Afghanistan brachten.
    Sie wollte noch etwas lesen. In den Manuskripten, die der Verlag ihr geschickt hatte. Sie bekam 150 Euro pro Gutachten. Das war nicht viel. Aber es erlaubte ihr, zu Hause zu bleiben, solange Karl weg war. Das war wichtig für Felix.
    Der Wagen stand immer noch auf der anderen Straßenseite. Was tat der hier?
    Ihr Häuschen lag am Ende einer Sackgasse, in die sich selten Touristen verirrten. Tagsüber kam es manchmal vor, dass Autofahrer vom Festland, die sich auf Usedom auskannten, im Wendehammer parkten, um durch die Dünen an einen ruhigeren Strand zu gelangen. Aber die Autos der Einheimischen waren meistens am späten Nachmittag verschwunden. Sobald die Sonne tiefer stand, wurde es ungemütlich an der Ostsee.
    Jetzt dämmerte es schon. Der Wagen stand immer noch da.
    Das nächste Haus – die Kate der Witwe Hinrichsen – lag zweihundert Meter entfernt. Kein Besucher stellte seinen Wagen zweihundert Meter vom Haus entfernt ab, wenn es so viel Platz zum Parken gab wie in dieser abgelegenen Ecke

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