Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
die Kinder mit dem Wasserschlauch abspritzt, damit diese ebenso sauber werden wie der glänzende Chrom des vierrädrigen Freundes.
Und sonntags?
Am siebenten Tag liegt ein müder Dunst über den Reihen und aus den Wohnungen klingt die Musik von Bill Bo und seiner Bande, die mal wieder einen Überfall auf Burg Dingelstein plant.
Diese Straßen sind das Ziel, das all jene erreichen wollen, die es zum Erfolg zieht, die ihrer schmutzigen Kluft entkommen wollen, weil sie ihren Traum leben, bei dem sich Ehrgeiz und Fleiß ideal paart. Ganz normale Arbeiter, die aufs Bier pfeifen und ihr Geld sparen, leitende Angestellte, die, auf welche Art auch immer, zu Vermögen kommen. Hier leben sie Schulter an Schulter, Fenster an Fenster, Stoßstange an Stoßstange, Ordnung an Ordnung, Anstand an Anstand.
Hier werden kleine Rasenflächen angelegt, sehr liebevoll Zäunchen hochgezogen, edle Koniferen gepflanzt, die extra aus Italien eingeführt wurden, Wege gepflastert, hier hat man sich niedergelassen, um als Trabant der 60er Jahre zu zeigen: Ich habe es zu etwas gebracht! Ich bin ein Wirtschaftswunderkind!
Sogar jetzt an diesem Abend im Gewitter, wenn der Regen auf die Pracht schüttet und die Sonne hinter dunkelgrauen Wolken untergeht, die am Horizont eine Wetterbesserung verheißen, wirkt diese Region in keiner Weise so, wie man es aus Bergborn kennt.
Denn hier gibt es keinen Backstein und keinen Ruß, keine Brieftauben und keine Kaninchenställe, hier hat das Leben eine ganz besondere Qualität. Na gut, es gibt auch die Hinterhöfe in Tegelhof, das Kneipenviertel von Kreuzberg, wohin es viele Türken verschlagen hat, aber am schönsten ist es hier, wo alle sauber und richtig ist.
Der Blitz mag Bäume spalten oder Krater brennen, wenn das geschieht, geschieht es niemals hier, sondern ein paar Kilometer weiter, am besten hinter der Zonengrenze.
Hinter den Mauern der Häuser indes spielen sich die gleichen Tragödien ab wie allerorts.
So wie hier in diesem Wohnzimmer, ausgestattet vom Feinsten, modern und totchic. Hier sitzen die Mitglieder einer Familie, die ihre Ressentiments ebenso gepflegt haben wie den peniblen Schnitt einer Rasenfläche, deren seelische Verletzungen derselben Pflege bedürfen, wie ein Jägerzaun, der nach drei Wintern neu lackiert werden muss, wie das Wasser eines Gartenteichs, der im Hochsommer zu einem Algenwust geworden ist.
Die Hausherrin schüttet aus einer weißen Porzellankanne belebenden grünen Tee in ebenso schneeweiße hauchdünne Tässchen und sagt: »Reden wir also über Ottilie. Wir hatten sowieso vor, morgen nach Bergborn zu kommen und wollten eines nach dem anderen klären« Sie sieht zu Lotte hin. »Wenn du verstehst.«
»Was ist mit Ottilie?«, beharrt Frank und staunt nicht schlecht, als Otto erneut hinter sich greift und zögerlich und sehr behutsam eine Versandtasche aus Pappe auf den Tisch legt.
»Noch mal fünfzigtausend als Unmutsentschädigung?«, grunzt Frank und zieht die Lasche hoch.
Otto grinst gequält.
Noch nie hat Tom seinen Vater, dessen Gesicht weiß wird wie die Wand hinter dem Kamin, so bestürzt erlebt. Man könnte meinen, ihn habe der Schlag getroffen, er würde den Mund nicht mehr zu kriegen und vergessen zu atmen.
»Wo habt ihr das her?«
Niemand antwortet. Alle starren auf die drei Briefumschläge, die aus der Versandtasche geflutscht und auf dem Tisch verstreut sind. Fleckige Umschläge, vergilbt, mit welligen Poststempeln entwertet und bunten Briefmarken, die fremdartig anmuten.
»Die Briefe von Michele«, stößt Frank hervor.
Lotte ist erschüttert, als sie die Verwandlung wahrnimmt, die mit Frank vorgeht. Er löst sich regelrecht in seine Bestandteile auf, unter seinen Brauen flackert ein panisches Feuer, seine Lippen beben wie die eines Epileptikers, seine kantigen Gesichtszüge werden hohl, während er mit dem Finger hinter seinen Kragen greift und so daran zieht, dass der Knopf abreißt und im Flokati versinkt.
»Frank«, flüstert sie voller Sorge.
Tom bückt sich und hebt den Hemdenknopf auf.
Ginas Blick rast von Otto zu Tom, weiter zu Lotte und dann wieder zu Frank. Welche Büchse haben sie und Otto geöffnet? Was hält Pandora für sie bereit? Wie wird Thomas darauf reagieren? War es richtig, Frank in diese Bredouille zu bringen? Gina macht sich einen Herzschlag lang Vorwürfe. Hat sie unverantwortlich gehandelt?
»Wo habt ihr diese Briefe her?«, krächzt Frank, innerlich völlig außer sich.
»Ottilie fand sie vor fünf Jahren bei
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