Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
überall ist glänzendes Leder, auf dem sich das Licht der supermodernen Halogenlampen reflektiert. Gegenüber protzt ein Kamin, schwarz gegen weißen Rauputz gelehnt, auf dem kaum Rauchspuren sind.
Das wäre was. Alle gemütlich in der Runde beim knisternden Feuer und Oma Käthe und Onkel Piefke sind auch dabei und der dicke Oskar vielleicht auch noch und alle erzählen lustige Geschichten.
Wohin Tom schaut, liegen Flokatiteppiche auf braunem Marmor, was superelegant wirkt und kein bisschen spießig. Da und dort gibt es kleine Tischchen und drüben im Winkel unter dem Telefon an der Wand einen seltsam geformten Stuhl aus hellem Holz mit Polstern aus Leinenstoff. An den Wänden hängen Reproduktionen von Bildern. Da drüben eines mit einer riesigen Coladose drauf und dort ein grob gerastertes mit einer Comiczeichnung und eines mit dem Kopf von Marilyn Monroe, ja, alles sehr stilvoll! Und erst mal der Fernseher – riesig groß und schon mit Farbe und die Stereoanlage ... keine Kompaktanlage, sondern Einzelkomponenten von Grundig, das Beste, was es gibt. Auf diesem Plattenspieler hört sich Pink Floyd sicherlich ganz fantastisch an.
Und wie das hier duftet!
Nach Tee und Rasierwasser.
Nach Mörtel und Waschmittel.
Nach ... neu!
Tom schließt für einen Moment seine Augen und stellt sich vor, wie seine eigene Wohnung aussehen könnte. Mindestens genauso chic.
Tante Gina und Onkel Otto kommen gemeinsam das Wohnzimmer, Seite an Seite. Sie müssen draußen aufeinander gewartet haben, wollen den Kampfplatz nur als Team betreten. »Sie hat sich hingelegt«, sagt Tante Gina. Beide sehen müde aus, haben Ringe unter den Augen, wissen, dass der Abend erst begonnen hat, auch wenn man am liebsten ins Bett gehen würde. Das wird nicht möglich sein. Der Zug hat Fahrt aufgenommen und eine lange Reise vor sich.
Eine Reise ins Herz der Freundschaft.
Eine Reise ins Herz des Dschungels.
Gina setzt sich neben Frank und hält Distanz, Otto in den zweiten Sessel, schräg gegenüber.
»Womit sollen wir beginnen?«, fragt Gina.
»Nun sagt doch mal, warum ihr hergekommen seid? Was ist passiert? Das mit Ottilie konntet ihr ja noch nicht wissen«, fragt Otto und seine Brille beschlägt, auf seiner Stirn bilden sich die für ihn typischen Schweißperlen, sein Kopf ruckt hühnerartig vor und zurück, der ausgeprägte Kehlkopf springt auf und ab. »Ihr seid mit dem Taxi gekommen? Aus Bergborn? Um diese Zeit? Das ist sauteuer.«
»Du hast keine Ahnung?«, fragt Frank. Er ist verunsichert. Hat dieser Mistkerl denn kein schlechtes Gewissen?
»Also«, Otto grinst. »Wir freuen uns selbstverständlich über euren Besuch. Vielleicht sollten wir Piefke und Muttel anrufen und dann machen wir alle eine spontane Party.«
Oh ja, denkt Tom und kommt sich im selben Moment etwas albern und naiv vor. Hier geht etwas Übles vor sich und er denkt an nicht Lapidareres als an eine Party!
Gina kichert. »Ja, Muttel würde noch fehlen. Da gibt es ja auch noch das eine oder andere, was geklärt werden könnte, nicht wahr?« Ein dreister Blick trifft Lotte.
»Und unser Piefke spielt uns den Rock ’n’ Roll«, meint Otto und grinst müde.
»Du hast uns versprochen, dass wir unser Geld vermehren«, stößt Frank hervor.
»Frank«, unterbricht Lotte ihn mit einem warnenden Blick. »Können wir später darüber reden?«
Frank stutzt, dann nickt er ergeben, obwohl es ihm schwerfällt, sehr schwer. »Aber ...«
Lotte fährt fort: »Im Moment gehen mir andere Dinge durch den Kopf.« Für einen Augenblick gerät sie aus dem Konzept, fängt sich jedoch wieder. Hilflos starrt sie Frank an. Was ist hier los? Weiß Otto nichts von den fünftausend Mark? »Mich interessiert, warum meine Tochter sich mal wieder verletzt hat. Das ist doch jahrelang nicht mehr geschehen. Wir alle dachten, sie hätte es drangegeben. Und was bedeutet dieses Schuldig ?«
»Hast du wirklich geglaubt, das höre von alleine auf?«, fragt Gina mitfühlend.
»Ja«, nickt Lotte. »Ja, das habe ich. Du nicht?«
Gina zuckt mit den Achseln.
»Die Ärzte meinten, es habe etwas mit der Pubertät zu tun«, sagt Lotte.
»So ist es aber nicht«, weiß Gina. »Es hat etwas mit dem Schuldig zu tun. Und mit etwas, dass man neu entdeckt hat. Man nennt es Impulskontrollstörung.«
»Dann rück mal raus mit der Sprache!«, sagt Frank, in dessen Kopf es quirlt und pocht. Warum, um alles in der Welt, weiß Gina Dinge, die er, Ottilies Vater, nicht weiß?
Und immerzu dieser schräge Blick von
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