Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Saatknollen, mit Hacken und Haumessern auf die Felder, und das Pflanzen begann. Reihe um Reihe häufelten sie auf dem Feld die Erde zu Dämmen und setzten die Yams hinein.
Yams, König der Feldfrüchte, war ein sehr fordernder König. Drei oder vier Monde lang verlangte er vom ersten Hahnenschrei an bis zur Stunde, da die Hühner schlafen gingen, viel Schweiß und ständige Aufmerksamkeit. Die jungen Triebe mussten mit Sisalnestern vor der Erdglut geschützt werden. Wenn die Regenfälle ergiebiger wurden, pflanzten die Frauen zwischen die Yamsdämme Mais, Melonen und Bohnen. Dann wurden die Yams an Stecken hochgebunden und bekamen später lange, kräftige Äste als Kletterhilfen. Dreimal, zu festgesetzten Phasen des Yamszyklus, nicht zu früh, nicht zu spät, jäteten die Frauen das ganze Feld.
Nun nämlich regnete es ernsthaftig, so stark und so unablässig, dass nicht einmal der Regenmacher des Dorfs behauptete, noch etwas ausrichten zu können. Er vermochte den Regen jetzt nicht mehr aufzuhalten, ebenso wenig, wie er es wagen durfte, ihn in der Haupttrockenzeit heraufzubeschwören, ohne sich beträchtlichen Gefahren für Leib und Leben auszusetzen. Die erforderlichen Kräfte, um den Gewalten dieser beiden äußersten Wetterlagen zu begegnen, überstiegen des Menschen Statur.
Also griff man mitten in der Regenzeit nicht in die Natur ein. Oft goss es in solch breiten Strichen, dass Himmel und Erde zu einer einzigen großen Nässe vereint schienen. Dann blieb ungewiss, ob Amadioras tiefes Grummeln und Grollen von unten oder von oben kam. In diesen Tagen saßen in jeder der unzähligen grasgedeckten Hütten Umuofias die Kinder entweder am Herdfeuer ihrer Mütter und erzählten Geschichten oder bei ihren Vätern im obi , wo sie sich an einem brennenden Baumstamm wärmten, Mais rösteten und knabberten. Es war dies eine kurze Ruhepause zwischen der fordernden und beschwerlichen Pflanzzeit und dem ebenso fordernden, aber heiteren Monat der Ernten.
Ikemefuna fühlte sich allmählich der Familie Okonkwos zugehörig. Zwar dachte er immer noch an seine Mutter und an seine dreijährige Schwester, und er kannte Zeiten der Trauer und der Niedergeschlagenheit. Aber er und Nwoye hingen inzwischen so aneinander, dass diese Zeiten seltener und weniger schmerzlich waren. Ikemefuna kannte einen unerschöpflichen Fundus an Geschichten. Und selbst die, die Nwoye vertraut waren, wurden mit einer neuen Frische und der Färbung eines fremden Klans erzählt. Nwoye sollte diese Zeit bis ans Ende seiner Tage sehr lebhaft in Erinnerung bleiben. Es blieb ihm sogar unvergessen, wie er gelacht hatte, als Ikemefuna ihm erzählte, dass der richtige Name für einen Maiskolben mit nur noch wenigen Körnern eze-agadi-nwayi lautete: Zähne eines alten Weibs. Nwoye hatte sogleich an Nwayieke denken müssen, die in der Nähe des Udalabaums wohnte [57] . Sie hatte gerade mal drei Zähne und rauchte immerzu Pfeife.
Langsam wurden die Regenfälle leichter und seltener, und Erde und Himmel trennten sich wieder. Es gingen dünne, schiefe Regenschauer bei Sonne und lauem Wind nieder. Die Kinder blieben nicht mehr drinnen, sondern liefen umher und sangen:
Der Regen fällt, die Sonne scheint,
Allein kocht Nnadi und isst [58] .
Nwoye fragte sich immer, wer Nnadi wohl war und warum er ganz allein leben, kochen und essen musste. Am Ende beschloss er, dass Nnadi wohl in dem Land der Lieblingsgeschichte Ikemefunas lebte, wo die Ameise in aller Pracht Hof hielt und der Sand ewig tanzte.
Fünftes Kapitel
Der Tag der Neuen Yams [59] näherte sich, und ganz Umuofia war in Feststimmung. Es war dies der Zeitpunkt, Ani zu danken, der Erdgöttin, Quell aller Fruchtbarkeit. Ani war für die Menschen wichtiger als jede andere Gottheit. Sie war höchste Richterin über Moral und Verhalten. Mehr noch, sie stand in enger Verbindung mit den verstorbenen Vätern des Klans, deren Körper der Erde anheimgegeben waren.
Das Fest der Neuen Yams wurde jedes Jahr vor Beginn der Ernte abgehalten, der Erdgöttin und den Ahnengeistern des Klans zu Ehren. Keine neuen Yams durften verspeist werden, ehe zunächst ein Teil diesen Mächten dargebracht worden war. Männer und Frauen, Jung und Alt freuten sich auf das Yams-Fest, weil es die Zeit der Fülle ankündigte, das neue Jahr. Am Vorabend des Fests wurden sämtliche Yams des alten Jahres von denen, die noch welche hatten, beseitigt. Das neue Jahr musste mit den schmackhaften neuen Yams begonnen werden, nicht mit den
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