Als ich noch der Waldbauernbub war - Arena Kinderbuch-Klassiker
ganze Wald da. Nun beginnt es gar, zu sieden und zu kochen im Gewölbe wie in tausend brauenden Kesseln. Kommt ein fürchterliches Gewitter, denkt sich dein Urgroßvater und verbirgt sich unter die Krone, so gut er kann. Der Hut ist ihm hinabgefallen und er hört es, wie die Bestien den Filz zerfetzen. Jetzt zuckt ein Strahl über den Himmel, es ist einen Augenblick hell wie zur Mittagsstunde – dann bricht in den Wolken ein Schnalzen und Krachen und Knallen los und weithin hallt es im Gewölbe.
Jetzt ist es still, still in den Wolken, still auf der Erde – nur um einen gegenüberliegenden Wipfel flattert ein Nachtvogel. Aber halb erhebt sich der Sturm, es rauscht in den Bäumen, es tost durch die Äste, eiskalt ist der Wind. Dein Urgroßvater klammert sich stets an das Geäst. Jetzt flammt wieder ein Blitz, schwefelgrün erleuchtet ist der Wald; alle Wipfel neigen sich, biegen sich tief, die nächststehenden Bäume schlagen, es ist, als fielen sie heran. Aber die Tanne steht starr und ragt hoch über den ganzen Wald. Unten rennen die Raubtiere wild durcheinander und heulen. Plötzlich saust ein Körper durch die Äste wie ein Steinwurf. Da leuchtet es wieder – ein schneeweißer Knollen hüpft auf den Boden und kollert dahin. Dann finstere Nacht. Es braust, siedet, tost, krachend stürzen Wipfel. Ein Ungeheuer mit weit schlagenden Flügeln, im Augenblicke des Blitzes gespenstische Schatten werfend, naht in der Luft, stürzt der Tanne zu und birgt sich gerade über deinem Urgroßvater in die Krone. Ein Habicht war’s, Junge, ein Habicht, der auf der Tanne sein Nest gehabt.« Mein Vater hatte bei dieser Erzählung keine Garbe angerührt; ich hatte den ruhigen, schlichten Mann bisher auch nie mit solcher Lebhaftigkeit sprechen gehört.
»Wie’s weiter gewesen?«, fuhr er fort. »Ja, nun brach es erst los; das war Donnerschlag auf Donnerschlag und beim Leuchten war zu sehen, wie weiße Wurfspieße gleich Eiskörnern auf den Boden niedersausten, an die Stämme prallten, auf den Boden flogen und wieder hoch emporsprangen. Sooft ein Hagelklumpen an den Stamm der Tanne schlug, gab es im ganzen Baume einen hohlen Schall. Und über dem Heugraben gingen Blitze nieder und auf den jenseitigen Wald gingen Blitze nieder; plötzlich war eine blendende Glut, ein heißer Luftdruck, ein Schmettern und es loderte eine Fichte.
Und die Türkentanne stand da und dein Urgroßvater saß unter der Krone im Geäst.
Die brennende Fichte warf weithin ihren Schein und nun war zu sehen, wie ein rötlicher Schleier lag über dem Walde, wie nach und nach das Gewebe der kreuzenden Eisstücke dünner und dünner wurde, wie viele Wipfel keine Äste, dafür aber weiße Streifen hatten, wie endlich der Sturm in einen mäßigen Wind überging und ein dichter Regen rieselte.
Die Donner wurden seltener und dumpfer und zogen sich gegen Mittag und Morgen hin; aber die Blitze leuchteten noch ununterbrochen.
Am Fuße des Baumes war kein Heulen und kein Augenfunkeln mehr. Die Raubtiere waren durch das wilde Wetter verscheucht worden. Da stieg denn dein Urgroßvater nieder von Ast zu Ast bis zum Boden. Und er ging hinaus durch den Wald über die Felder gegen das Haus.
Es war schon nach Mitternacht.
Als der Bräutigam zum Hause kommt und kein Licht in der Stube sieht, wundert er sich, dass in einer solchen Nacht die Leute so ruhig schlafen können. Haben aber nicht geschlafen, waren zusammen gewesen in der Stube um ein Kerzenlicht.
Sie hatten nur Bretter an die Fenster gelehnt, weil der Hagel alle Scheiben eingeschlagen hatte.
›Bist in der Waldhütten blieben, Sepp?‹, fragte deine Ururgroßmutter. Dein Urgroßvater aber antwortete: ›Nein, Mutter, in der Waldhütten nicht.‹
Es war an dem darauffolgenden Morgen ein frischer Harzduft gewesen im Walde – die Bäume haben geblutet aus unzähligen Wunden. Und es war ein beschwerliches Gehen gewesen über die Eiskörner und es war eine sehr kalte Luft.
Und als am Frauentag die Leute über die Verheerung und Zerstörung hin zur Kirche gingen, fanden sie im Walde unter dem herabgeschlagenen Reisig und Moos manchen toten Vogel und manch anderes Tier; unter einem geknickten Wipfel lag ein toter Wolf.
Dein Urgroßvater ist bei diesem Gange sehr ernst gewesen; da sagt auf einmal das Lenerl von der Waldhütten zu ihm: ›O, du himmlisch’ Mirakel! Sepp, dir wachst ja schon ein graues Haar!‹
Später hat er alles erzählt und nun nannten die Leute den Baum, auf dem er dieselbe Nacht hat zubringen
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