Als ich noch der Waldbauernbub war - Arena Kinderbuch-Klassiker
konnte nun nachsehen, was mit seinem Gespann geschah. Die Rinder rasten dahin, die Egge hüpfte hoch empor, und im nächsten Augenblicke war ich unter den Zähnen derselben und wurde hingeschleift.
Mein Vater soll die Augen zugemacht und sich gedacht haben: Jesses, kaum ist der Kleine da, ist der Große schon hin. – Dann schlug er die Hände zusammen und rief es zu den Wolken empor: »Unser’ liebe Frau Maria Zell!«
Mittlerweile waren Ochsen und Egge über den Feldrücken gerast und nicht mehr zu sehen. Dort unten aber auf dem braunen Streifen, den das Fuhrwerk über den Acker hin gezogen hatte, lag ein Häuflein und bewegte sich nicht.
Mein Vater lief hinzu und riss es von der Erde empor – da hub es auch schon gewaltig an zu schreien. Der ganze Bub voll Erde über und über; ein Ärmel des Linnenröckleins war in Fetzen gerissen, über die linke Wade hinab rann Blut – sonst gar nichts geschehen. Hinter dem Feldsattel standen unversehrt auch die Ochsen. Mich nahm mein Vater jetzt auf den Arm. Ich hätte zehnmal besser laufen können als er, aber er bildete sich ein, ich müsse getragen sein, aus Zärtlichkeit und Dankbarkeit, dass ich noch lebe, und aus Angst, ich möchte mich etwa gar jetzt erst verletzen. Als ich hörte, dass ich eigentlich in Todesgefahr gewesen war und von Rechts wegen jetzt in Stücke zerrissen nach Hause getragen werden sollte, hub ich erst recht an zu zetern. – Und so kamen wir heim, und wenn die alte Grabentrautel nicht vor der Tür gefegt hätte – weil die Taufpatin kommen soll – und sie uns solchergestalt nicht den Eingang zur Wöchnerin verwehrt hätte, so wär erst jetzt das Unglück geschehen: Die Mutter wär vor Schreck aus dem Bett gesprungen, hätt das Fieber gekriegt und wär gestorben.
Auch das hat die liebe Frau Maria Zell verhindern müssen und hat es durch ihre Fürbitte erwirkt, dass es der Grabentrautel eingefallen ist, es wäre draußen der Antrittstein nicht ganz sauber und die Taufpatin könne leichtlich daran ein Ärgernis nehmen.
Später hat das mein Vater alles erwogen und ist hierauf zum Entschluss gekommen mit mir zur Danksagung eine Wallfahrt nach Maria Zell zu machen.
Ich war glückselig, denn eine Kirchfahrt nach dem eine starke Tagreise von uns entfernten Wallfahrtsort war mein Verlangen gewesen, seit ich das erste Mal die Zeller Bildchen im Gebetbuche meiner Mutter sah. Maria Zell schien mir damals nicht allein als der Mittelpunkt aller Herrlichkeit der Erde, sondern auch als der Mittelpunkt des Gnadenreiches unserer lieben Frau. Und sooft wir nun nach dem Gelöbnisse auf dem Felde oder im Walde arbeiteten, musste mir mein Vater all das von Zell erzählen, was er wusste, und auch all das, was er nicht wusste. Und so entstand in mir eine ideale Welt voll Sonnenglanz und goldener Zier, voll heiliger Bischöfe, Priester und Jungfrauen, voll musizierender Engel und inmitten unter ewig lebendigen Rosen die Himmelskönigin Maria.
Und eines Tages denn, es war am Tage des heiligen Michael, haben wir vormittags um zehn Uhr Feierabend gemacht.
Wir zogen die Sonntagskleider an und rieben unsere Füße mit Talg ein. Der Vater aß, was uns die Mutter vorgesetzt – ich hatte den Magen voll Freude. Ich ging ruhelos in der Stube auf und ab, sosehr man mir riet, ich sollte rasten, ich würde noch müde genug werden. Rasten und dann müde werden, das schien mir nicht gut gedacht.
Endlich luden wir unsere Reisekost auf und gingen davon, nachdem wir versprochen hatten, für alle daheim und für jedes insbesondere bei der »Zellermutter« zu beten.
Ich wüsste nicht, dass meine Füße den Erdboden berührt hätten, so wonnig war mir. Die Sonne hatte ihren Sonntagsschein und es war doch mitten in der Woche. Mein Vater hatte einen Pilgerstock aus Haselholz, ich auch einen solchen; so wanderten wir aus unserem Alpel davon. Mein Vater trug außer den Nahrungsmitteln etwas in seiner rückwärtigen Rocktasche, was, in graues Papier gewickelt, ich ihn zu Hause einstecken gesehen hatte. Ich konnte mir nicht denken, was das für ein Ding sein mochte.
Wir kamen ins schöne Tal der Mürz und in das große Dorf Krieglach, wo einige Tage zuvor mitten im Orte einige Häuser niedergebrannt waren. Ich hatte in meinem Leben noch keine Brandstätte gesehen. Ich schloss die Augen und ließ es noch einmal nach Herzenslust brennen, sodass mich mein Vater gar nicht von der Stelle brachte.
Eine Frau sah uns zu und sagte endlich: »Mein, ‘s ist halt armselig mit so einem Kind –
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