Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
bedeutender Forscher, als den er beinahe ein Jahrhundert lang dargestellt wurde.
Aus Kollegialität und Kompromiss aber wurde Konkurrenz, aus Koinzidenz und Kuriosum unlängst ein Komplott gestrickt. So bekannt diese Episode ist, so umstritten sind indes bis heute die genauen Umstände des tatsächlich höchst delikaten, weil fragwürdigen Arrangements durch engste Freunde Darwins. Zwar gehört die Kette der Ereignisse, die zur ersten Vorstellung der Selektionstheorie führten, zu den am gründlichsten untersuchten Kapiteln der Wissenschaftsgeschichte; tatsächlich gleichen sie einem Krimi, beinahe einem Mord(s)fall. Dennoch sind viele wichtige Details um diese Veröffentlichung noch immer nicht vollständig aufgeklärt. Offene Fragen haben zu Spekulationen und Verschwörungstheorien eingeladen; von einer der übelsten Fälschungsaffären in der Biologie-Geschichte ist die Rede. Und der Disput darüber, was wirklich geschah, dauert an. Hat Darwin tatsächlich zentrale Teile seiner Theorie aus dem ihm zugesandten Manuskript von Wallace abgeschrieben – ein Plagiatsfall auf höchstem intellektuellem Niveau und verbunden mit einer kontroversen wissenschaftlichen Theorie?
Aus dem Blickwinkel Charles Darwins ist die Geschichte hinlänglich bekannt. Doch kaum einmal wurde die Kette der Ereignisse aus der Perspektive Alfred Russel Wallace’ rekonstruiert. Und tatsächlich ist vieles dabei übersehen worden, was zur Aufklärung führen könnte. Neben einigen – durchaus nicht unerheblichen – Ungereimtheiten hat Wissenschaftshistoriker und Biographen immer verwundert, dass Wallace so scheinbar bereitwillig Darwin das Feld überließ. Immerhin war es Wallace selbst, der 1889 – sieben Jahre nach Darwins Tod – den bis heute gängigen Begriff »Darwinismus« für die gemeinsam entwickelte Selektionstheorie prägte. So hat er vielleicht am nachhaltigsten dazu beigetragen, dass er selbst später in Vergessenheit geriet. Überdies hat sich eine regelrechte Darwin-Industrie ausführlich mit beinahe jedem Stück Papier und jeder Zeile aus der Feder Darwins beschäftigt und, so scheint es, jeden Moment und Aspekt im Leben dieses britischen Privatgelehrten von allen Seiten beleuchtet. Während Historiker und Biographen Darwin mit dickleibigen Büchern über Werk und Wirken beinahe zu Tode gewürdigt haben, ist uns Alfred Russel Wallace eigenartig fremd geblieben – tatsächlich ein erschütternd Unbekannter, zu Unrecht Vergessener; ein ewiger Zweiter, dieser Mann im Schatten Darwins.
Der paradoxe Wallace
Zwar verschaffen uns eine Reihe gelehrter Biographien, die jüngst vor allem in England erschienen sind, wertvolle Einblicke in Wallace’ Leben (ein kommentiertes Literaturverzeichnis dazu befindet sich am Ende dieses Buches). Doch bleibt noch vieles zu entdecken bei dem Mitentdecker der Evolutionstheorie und Begründer der Biogeographie.
Kaum einmal sind bisher sämtliche Aspekte der Persönlichkeit von Wallace in der Zusammenschau abgewogen worden. War es wirklich allein seine Bescheidenheit und sein benachteiligter Status im klassenbewussten viktorianischen England, die Wallace bewogen, Darwin das Feld zu überlassen? War er wirklich ein ruheloser Sonderling und eigenartiger Außenseiter, der zudem manchem Irrglauben anhing? Es ist vor allem dieses Paradoxon, das vielen seiner Biographen immer wieder Kopfzerbrechen bereitet hat: Wallace war ein brillanter Denker und Entdecker, ein Mann der Wissenschaft; aber er glaubte an Wunder. Beinahe könnte man meinen, es gäbe ihn zweimal: hier der Naturforscher Wallace, der sich jahrelang unter Lebensgefahr auf die Suche nach Fakten begibt, die jene umwälzende Theorie von der Transmutation der Arten unterfüttern sollen. Dort der überzeugte und durch nichts zu erschütternde Anhänger des Spiritualismus auf der Suche nach dem Wirken eines mystischen Wesens in uns allen. Wie passt das zusammen? War Wallace einfach nur unkonventionell in vielen Lebenslagen und Lebensfragen, ein frei und unabhängig denkender, ja gar ein radikaler Geist mit Freude am Widerspruch zur allgemein geltenden Meinung? Oder verwirrte das hohe Alter sein Denken?
Bis heute haben Biographen, trotz aller Bemühungen, keine eindeutige Antwort gefunden. Die meisten schildern vordergründig nur mehr die Stationen von Wallace’ Leben, vor allem und ausführlich seine abenteuerlichen Reisen in den Tropen, denen einige sogar selbst nachforschten. Andere beschäftigt beinahe ausschließlich sein
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