Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
seinen Geschäftsbüchern auf Heller und Pfennig die Kosten der Ausrüstung und ihr Erträgnis ausweisen mußte. Das wäre so absurd, wie wenn ein Autor seinem Verleger, der seit einem Dutzend Jahre seine Werke in continuo veröffentlicht und mit ihm regelmäßig abgerechnet hat, bei der Übersendung eines neuen Buches die überraschende Mitteilung machte, dies sei nicht sein Erstlingswerk, sondern er habe schon vorher andere Bücher veröffentlicht.
Ähnliche Unsinnigkeiten und Unstimmigkeiten finden sich in den gedruckten Texten beinahe von Seite zu Seite, Unsinnigkeiten und Unstimmigkeiten, die keinesfalls auf Vespucci selbst zurückgehen können. Somit spricht alle Wahrscheinlichkeit für Magnaghis These, daß die drei handschriftlichen Briefe, die man von Vespucci in den Archiven fand, und die bisher gerade von den Verteidigern Vespuccis als unecht abgelehnt wurden, in Wirklichkeit das einzig verläßliche Material sind, das wir von Vespuccis Hand besitzen, während wir die hochberühmten Werke › Mundus Novus ‹ und die › Vier Reisen ‹ um der fremden Zusätze, Veränderungen und Entstellungen willen als dubiose Publikationen beurteilen müssen.
Allerdings – die › Vier Reisen ‹ deshalb schon glatt und klar eine Fälschung zu nennen, wäre wiederum grobe Übertreibung, denn sie verarbeitenzweifellos authentisches Material von Vespuccis Hand. Was der ungenannte Herausgeber getan hat, ist ungefähr dasselbe, was im Antiquitätenhandel geschieht, wenn dort aus einem echten Renaissancekasten unter geschickter Verwertung des Materials durch Einfügung imitierter Stücke zwei oder drei Kästen oder eine ganze Garnitur gemacht werden, was dann zur Folge hat, daß derjenige, der die volle Echtheit der Stücke behauptet, ebenso ins Unrecht kommt wie jener, der sie ein Falsifikat nennt. Jenem Drucker in Florenz, der vorsichtigerweise seinen Namen auf dem Titelblatt verschweigt, waren zweifellos die Briefe Vespuccis an das Bankhaus Medici – jene drei, die wir kennen, und wahrscheinlich auch andere, die wir nicht kennen – unter die Hand gekommen. Nun wußte dieser Drucker von dem erstaunlichen Erfolg, den der Brief Vespuccis über die dritte Reise, der › Mundus Novus ‹ davongetragen hatte – nicht weniger als dreiundzwanzig Nachdrucke während weniger Jahre in allen Sprachen! Nichts natürlicher darum, als daß es ihn, der auch die anderen Berichte aus dem Original oder der Abschrift kannte, verlocken mußte, die › Gesammelten Reisen ‹ Vespuccis in einem neuen Bändchen herauszugeben. Da das vorhandene Material aber nicht ausreichte, um den vier Reisen des Columbus vier Reisen des Vespucci entgegenzustellen, entschloß sich dieser unbekannte Herausgeber, das Material zu »strecken«. Vor allem zerlegte er den uns bekannten Bericht über die Reise von 1499 in zwei Reisen, eine von 1497 und einevon 1499, ohne im entferntesten zu ahnen, daß er durch diesen Betrug Vespucci selbst durch drei Jahrhunderte als Lügner und Betrüger brandmarken würde. Außerdem stückelte er noch aus anderen Briefen oder Berichten anderer Seefahrer Einzelheiten an, bis dann dieses mixtum compositum aus Wahrheit und Lüge glücklich fertig war, das durch Hunderte Jahre den Gelehrten Kopfschmerzen und Amerika den Namen Amerika eingetragen hat.
Vielleicht könnte ein Bezweifler dieser These hier einwenden, ob überhaupt ein solcher frecher Eingriff denkbar sei, daß man das Werk eines Autors, ohne ihn zu befragen, mit willkürlichen Erfindungen erweitere. Ein Zufall will nun, daß wir die Möglichkeit eines solchen skrupellosen Vorgehens gerade bei Vespucci erweisen können. Es wird nämlich nur um ein Jahr später, 1508, von einem holländischen Drucker noch eine fünfte Reise Vespuccis gefälscht, und zwar in allerprimitivster Art. So wie dem ungenannten Herausgeber der › Vier Reisen ‹ die im Manuskript aufgefundenen Briefe das Material zu seinem Buch, so gibt dem holländischen Drucker die Reisebeschreibung eines Tirolers, Balthasar Sprenger, die im Manuskript kursiert, die erwünschte Gelegenheit zu seiner Fälschung. Er setzt nämlich an der Stelle, wo es im Original heißt: » ego, Balthasar Sprenger «, einfach ein: » ick, Alberigus «, ich, Amerigo, um das Publikum glauben zu lassen, diese Reiseschilderung stamme von Vespucci. Und tatsächlich hat diese freche Zuschreibung damit noch vierhundertJahre später den Vorstand der Geographischen Gesellschaft in London zum Narren gehalten, der 1892 mit großem Pomp
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