Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Kommunikationstechnikerinnen der RÖA-Direktorin einen Ohrhörer gereicht. Höchstwahrscheinlich bezog sie über die Standverbindung zum VMKP-HQ von dort neue Informationen. Vermutlich machte die Stationszentrale ihr Angaben über das Kommandomodul und die Posaune. Aber sie gab nicht bekannt, was sie erfuhr. Es mochte sein, ihr war einsichtig geworden, daß alles keinen Zweck mehr hatte. Oder sie hatte gehofft – der bloße Gedanke drehte Cleatus Fane schier den Magen um –, es käme von irgendwoher noch Rettung.
Das Stimmvieh brauchte zu lang. Fane äußerte Anmerkungen und bot Rat an, wann sich nur dazu Gelegenheit ergab, aber es ermangelte ihm nun einmal an der Befugnis, ein Ende der Diskussion zu erzwingen. Unterdessen lief die Uhr. Stimmte das Regierungskonzil nicht bald ab, mochte das Resultat sein, daß Holt Fasner darauf verzichtete, eine legale Lösung der durch Dios geschaffenen Probleme anzustreben.
Mit schrecklichen Konsequenzen…
Grimmig rief Cleatus Fane sich in Erinnerung, daß er noch wenigstens neunzig Minuten Zeit hatte. Das mußte doch wohl genügen? Guter Gott, eigentlich müßte es reichen! Falls keine weiteren Überraschungen das Regierungskonzil aus dem Konzept brachten, war Holt Fasner der Sieg sicher. Und sein Geschäftsführender Obermanagementdirektor blieb am Leben.
Fast zerstob seine Beherrschung, als er sah, daß in der Nähe des Saaleingangs an der Kommunikationskonsole ein Sekretär aufstand und zur Empore hastete, mit dem Arm winkte, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Verdammt, da kam eine schlechte Neuigkeit. Es mußte so sein. Sonst hätte der Mann es nicht derart eilig, er rempelte gegen Stühle und stolperte über die Beine Anwesender, so dringend wollte er zum Podium.
Len blickte dem Mann mit sichtlicher Mißbilligung entgegen; schüttelte den Kopf, um anzuzeigen, daß er keine Störung wünschte. Brav, brav. Aber der Sekretär sprang regelrecht aufs Podium, packte Len wahrhaftig am Arm, zog ihn vom Podium herab und tuschelte ihm nervös etwas ins Ohr.
Eines nach dem anderen stellte das Stimmvieh sein Gequassel ein. Neue Spannung packte die Versammlung. Im Saal hatte sich unterschwellig ein gerüttelt Maß an Schaudern angestaut: vor Protonengeschütz-Beschuß; vor Krieg und Mutagenen; der abschreckenden Dunkelheit des Weltraums. Auch Cleatus Fane fühlte das Grausen. Halb stemmte er sich vom Sitz hoch, überlegte es sich jedoch anders und blieb auf seinem Platz, murmelte stumm seine neue Sorge ins Kehlkopfmikrofon.
Holt Fasner schwieg.
Vertigus bedeckte das Gesicht. Der irre Fanatiker Sen Abdullah stierte zum Podium hinüber, als ob die Irritation ihm die Gurgel abschnürte. Igensard hockte auf der Stuhlkante, hielt sich bereit zum Aufspringen, um Einwände zu zetern; um sich nützlich zu machen…
Verflucht noch mal. Plötzlich nickte Len dem Sekretär zu und schickte ihn zurück an die Kommunikationskonsole. Wieder eine Verzögerung. Während der Sekretär sich entfernte, kehrte Len aufs Podium zurück. Trotz des spürbaren Bangens ringsum ließ er sich Zeit; er senkte den Kopf; atmete mehrmals tief durch; langte gemächlich nach seinem Amtszepter. Dann straffte er – noch immer langsam – den Rücken, hob das Kinn, rückte die Schultern gerade.
In seinen Augen stand ein Ausdruck, den Cleatus Fane nicht zu deuten wußte. Er mochte Entschlossenheit oder Verzweiflung widerspiegeln. »Verehrte Konzilsdelegierte, liebe Direktorin Hannish, Geschäftsführender Obermanagementdirektor Fane«, verkündete er mit unsteter Stimme, »die Abstimmung muß verschoben werden.«
Cleatus Fane spürte einen Stich in der Magengegend, als ob jemand ihn ein Messer in den Bauch rammte. Er blökte einen Protest, der einem Schmerzschrei ähnelte. Gleichzeitig schrie Igensard irgend etwas, das Fane nicht genau verstand; etwas über die Vorrangigkeit der Abstimmung…
Im nächsten Moment sah Fane voller Entgeisterung und Erschrecken, daß Len das Amtszepter hob und es mit einer Wucht aufs Rednerpult knallte, als wollte er entweder Zepter oder Pult zerschmettern.
»Ich habe gesagt, die Abstimmung muß verschoben werden!«
Der Schlag und Lens ungewohnte Vehemenz scheuchte das Stimmvieh auf, als würde es unversehens mit dem Stunnerknüppel geprügelt. Mehrere Konzilsdeputierte zuckten an ihren Plätzen zusammen. Einigen ihrer Mitarbeiter entfielen stapelweise Festkopien. Sogar Len erschrak, als hätte er sich selbst überrumpelt; als hätte er nicht gewußt, unter welchem Streß er stand,
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