Amnion Omnibus
von einer Entscheidung ab, die er nicht treffen konnte.
Es hatte den Anschein, Morn kam nicht zu Bewußtsein, daß alle auf sie warteten. Noch stand sie völlig unter dem Eindruck von Dios’ Ansinnen. Ihre Augen waren feucht geworden. Eine steile Falte teilte ihre Stirn. Sie klammerte sich an die Armlehnen des Andrucksessels, als brauchte sie fürs Gleichgewicht ihren Halt.
Sie schwieg für einen ausgedehnten Moment, als ob sie bei sich auf die Stimmen ihrer Eltern lauschte. Dann beugte sie sich ans Mikrofon.
»Darüber müssen wir hier erst diskutieren, Polizeipräsident«, sagte sie mit vor unterdrückten Emotionen heiserer Stimme. »Ich kann diese Art von Entschlüssen auf keinen Fall einfach für andere Menschen fassen.
Bleiben Sie auf dieser Frequenz. Wir geben Ihnen so bald wie möglich Bescheid.« Mit der Fingerspitze schaltete sie das Mikrofon so sachte ab, als wünschte sie dem VMKP-Polizeipräsidenten adieu.
Davies hatte kaum hingehört. Seine Aufmerksamkeit galt allein Min Donner. Er hatte ihr eine Frage zu stellen, ohne daß er wußte, wie er sie formulieren sollte. Er konnte die allesentscheidende Festlegung, die er am meisten fürchtete, nicht mehr lange aufschieben. Irgendwie mußte er nun rasch über sein weiteres Verhalten entscheiden.
Anscheinend war Direktorin Donner der einzige Mensch auf der Brücke, der ihm eventuell einen Grund zu nennen imstande war, warum er nicht ihre Dienstwaffe an seine Schläfe setzen und sich das Hirn zerschießen sollte.
WARDEN
»Darüber müssen wir hier erst diskutieren«, hatte Morn mitgeteilt. »Ich kann diese Art von Entschlüssen auf keinen Fall einfach für andere Menschen fassen.« Dann war nach einem Knacken ihre Stimme ausgeblieben und hatte Warden Dios wieder allein mit Marc Vestabule gelassen.
Sein Herz flatterte, während er vor dem Kommunikationsgerät schwebte, das in einer Wandnische der Kammer gewachsen war, in der Vestabule ihn bewachte. Die Amnion-Beleuchtung überanstrengte Dios’ menschliches Auge, so daß es pochte; seine Prothese vermittelte ihm keinerlei erhellende Aufschlüsse.
Morn Hyland hatte das Kommando über die Rächer. Das Beachtliche dieser Leistung – oder das Ausmaß des Desasters – entgeisterten Dios regelrecht. Irgendwie hatte sie Min Donner und Dolph Ubikwe dazu gezwungen oder überredet, ihr zu weichen. Jetzt beharrte sie darauf, nicht mehr in VMKP-Diensten zu stehen. Kapitänhauptmann Ubikwe bekannte offen seine Hilflosigkeit. Min Donner hatte offenbar einen Weg gefunden, um als befehlshabende Direktorin zu fungieren, ohne in Widerspruch zu Morns Kommandoausübung zu geraten.
Und Angus Thermopyle verhielt sich unverblümt feindselig… Irgend etwas hatte sich ereignet. Etwas Großartiges… oder Schreckliches. Mit Vestabule im Nacken war sich Warden Dios nicht mehr so recht sicher, ob er zwischen beidem einen Unterschied sehen konnte. Er quoll von Fragen über, die von ihm zu den fremdartigen Wänden zu treiben schienen. Zu welchem Entschluß mochte Morn gelangen? Ob Min Donner gehorchte, falls er ihr befahl, Morn und Davies an die Amnion auszuliefern?
Wieso war sie jetzt befehlshabende Direktorin? Was war aus Hashi Lebwohl geworden?
An Bord der Stiller Horizont im Effekt Gefangener, blieb Warden Dios nichts anderes übrig, als ausgerechnet den Menschen zu vertrauen, denen er am meisten zugemutet hatte: Min Donner und Hashi Lebwohl, Morn Hyland und Angus Thermopyle.
Mit einer gemessenen Bewegung griff Vestabule an ihm vorbei und desaktivierte das Mikrofon des Kommunikationsgeräts. Kurz benutzte der Amnioni sein umgehängtes Mikrofon, um sich mit jemandem zu verständigen, wahrscheinlich der Brücke der Stiller Horizont.
Verstehen konnte Dios die kehligen Laute nicht, er vermutete jedoch, daß Vestabule die Weisung erteilte, die Funkverbindung der Defensiveinheit zur Rächer aufrechtzuerhalten.
Anschließend schenkte Vestabule seine Beachtung von neuem Warden Dios.
»Ihre Untergebenen gehorchen Ihnen nicht«, stellte er lakonisch fest. Geradeso wie der Polizeipräsident hatte er nur ein normales Auge. Sein Amnion-Auge glotzte Dios starr an; aber das menschliche Auge schimmerte feucht vor Stress. »Sie sind nicht mit Entscheidungsbefugnis ausgestattet. Unsere Ansprüche können von Ihnen nicht erfüllt werden.« Ach du verfluchte Scheiße! »Ich muß mit Holt Fasner in Kontakt treten«, fügte Vestabule hinzu, während Dios’ Herz brannte, als strömte Säure hindurch. »Ehr Scheitern läßt mir
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