Herzen in Gefahr
1. K APITEL
Cathleen McKinnon war Irin. Und sie war so widersprüchlich wie ihr Land. Einerseits rebellisch und leidenschaftlich, andererseits poetisch und schwermütig. Gegensätze waren ihre typischste Eigenschaft. Sie war stark genug, um für ihre Überzeugung einzutreten, und so eigensinnig, dass sie selbst um eine verlorene Sache noch kämpfte, aber trotzdem war sie eine Frau, die lieber gab als nahm. Tatkräftige Entschlossenheit kennzeichnete sie genauso wie romantische Träumerei und hochfliegender Ehrgeiz.
Cathleen war zweiundzwanzig und bisher noch nie aus ihrem Heimatdorf herausgekommen. Daher war die Fahrt zum Flughafen von Cork eine ungewohnte und aufregende Sache für sie gewesen. Schließlich hatte sie den Flughafen erst dreimal in ihrem Leben gesehen. Ihre Nervosität war also verständlich. Doch waren es nicht die vielen Menschen und der Lärm, die sie beunruhigten. Den Trubel fand sie eher spannend, die Lautsprecheransagen faszinierend.
London, New York, Paris. Durch die dicke Glasscheibe konnte sie beobachten, wie die großen, schlanken Maschinen von der Startbahn abhoben.
Jedes Mal, wenn sie ein Flugzeug aufsteigen sah, versuchte sie, sein Ziel zu erraten, malte sich aus, eines Tages selbst in einem solchen Riesenvogel zu sitzen und in den Himmel hineinzufliegen.
Nein, die startenden Flugzeuge machten sie nicht nervös, sondern eine ganz bestimmte Maschine, die jeden Moment landen musste. Beinahe hätte sie sich vor Aufregung das Haar zerrauft. Im letzten Moment unterdrückte sie ihre Ruhelosigkeit. Das hätte noch gefehlt, dass sie jetzt ihre Frisur durcheinanderbrachte. Unruhig zupfte sie an ihrer Jacke herum. Hoffentlich sehe ich nicht zu ärmlich aus, dachte sie und strich über ihren Rock.
Zum Glück war ihre Mutter eine ausgezeichnete Schneiderin. Das marineblaue Kostüm hatte vielleicht nicht gerade den modischsten Schnitt, schmeichelte jedoch ihrem hellen Teint und harmonierte reizvoll mit der Farbe ihrer Augen. Cathleen hatte sogar ihre widerspenstige rötlich schimmernde Haarpracht gebändigt. Das geschickt hochgesteckte Haar ließ sie älter und, wie sie hoffte, erfahrener wirken. Die wenigen Sommersprossen auf ihrer Nase hatte sie überpudert und die vollen Lippen mit Lipgloss betont, sie war jedoch mit Wimperntusche und Lidschatten sehr sparsam umgegangen. Dafür hatte sie sich von ihrer Mutter die alten Goldohrringe geliehen. Es war ihr sehr wichtig, einen gepflegten Eindruck zu machen. Auf keinen Fall wollte sie aussehen wie die arme Verwandte und womöglich Mitleid erwecken. Schließlich war sie eine McKinnon. Sie würde ihren Weg gehen, selbst wenn sie bisher nicht so viel Glück gehabt hatte wie ihre Cousine.
Das müssen sie sein, dachte Cathleen, als sie ein kleines Charterflugzeug entdeckte, das langsam auf den Flugsteig zurollte. Nur reiche Leute konnten es sich leisten, eine Privatmaschine zu chartern. Cathleen malte sich aus, wie fantastisch es sein müsste, in solch einem Flugzeug zu sitzen, Champagner zu trinken und irgendwelche exotischen Häppchen dazu zu essen. Ihre Fantasie war schon immer sehr rege gewesen. Allerdings fehlten ihr die Mittel, um die zahlreichen Wunschträume Realität werden zu lassen.
Sie beobachtete, wie eine weißhaarige, stämmig aussehende Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand aus dem Flugzeug stieg. Neben ihr wirkte das zierliche Kind mit dem karottenroten Haarschopf zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe. Die beiden standen kaum auf irischem Boden, als ein etwa sechsjähriger Junge mit Riesensprüngen hinter ihnen aus dem Flugzeug hüpfte.
An dem tadelnden Gesichtsausdruck der Frau konnte Cathleen erkennen, dass der Junge ermahnt wurde. Als die Frau ihn bei der Hand fasste, verzog er mutwillig sein Gesicht. Cathleen mochte ihn auf Anhieb. Dem Alter nach musste er Brendon, Delias ältester Sohn, sein. Und das Mädchen mit der Puppe im Arm war sicher Lisa, seine jüngere Schwester.
Dann stieg ein Mann aus dem Flugzeug, an den sich Cathleen noch sehr gut erinnern konnte. Es war Travis Grant, der Mann ihrer Cousine Delia, den sie vor vier Jahren kennengelernt hatte, als die beiden zu einem kurzen Besuch nach Irland gekommen waren. Travis war groß und breitschultrig, und sein Lächeln löste bei jeder Frau beunruhigende Gefühle aus. Schon damals war ihr seine ruhige Überlegenheit aufgefallen. Bei ihm konnte sich eine Frau geborgen fühlen, solange sie es verstand, ihm eine gleichwertige Partnerin zu sein.
Travis hatte einen kleinen
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