An einem Tag im Winter
lächelte. »Mein Freund würde es nicht aushalten. Er wäre auf der Stelle wieder ausgezogen â oder hätte einen Nervenzusammenbruch bekommen.«
»Ach, Sie haben einen Freund?«
»Ja, Daniel lebt in London.«
»Aha.«
»Als ich heute Nachmittag gegangen bin, ist mir drüben bei den Nebengebäuden ein Mann begegnet. Ziemlich grimmig, in einer Militärjacke.«
»Das wird Gosse gewesen sein.« Martin zog ein Gesicht. »Pharoahs Getreuer.«
»Warum nennen Sie ihn so?«
»Gosse ist der Hausmeister von Gildersleve Hall, schon seit Bestehen des Instituts.« Martin sah sich rasch im Saal um. »Nur zur Vorsicht. Gosse kommt auch manchmal hierher. Pharoah hat ihn im Krieg aufgegabelt. Angeblich war Roy Gosse gerade aus dem Militärgefängnis entlassen worden, Pharoah hat ihn dann hierher versetzen lassen. Uns andere behandelt er wie Dreck, aber für Pharoah geht er durchs Feuer. Doch er macht sich nützlich, das muss man ihm lassen. Sorgt dafür, dass in dem alten Kasten alles läuft, repariert den Boiler, achtet darauf, dass im Winter die Leitungen nicht einfrieren, und dergleichen mehr.«
»Das hört sich an, als könnten Sie ihn nicht ausstehen.«
Martin zuckte mit den Schultern. »Er ist mir ziemlich egal. Aber anlegen möchte ich mich nicht mit ihm. Er ist ein jähzorniger Kerl. AuÃerdem macht er Krafttraining. Offenbar war er mal Boxer.« Er bot Ellen eine Zigarette an, die sie dankend ablehnte.
»Und â was für einen Eindruck haben Sie denn nun von Ihren neuen Kollegen?«, fragte er.
»Alle waren sehr nett und hilfsbereit.«
» Alle ? Jetzt hören Sie aber auf, Kingsley.« Martin knipste ein Feuerzeug an. »Redmond hilfsbereit?«
»Na ja, er vielleicht nicht. Eigentlich hat er mir leidgetan.«
»Warum denn das? Er ist ein arroganter alter Griesgram.«
»Er sah â vernachlässigt aus. Und vielleicht ist er gar nicht arrogant, sondern schüchtern.«
»Welchen Grund sollte der haben, schüchtern zu sein? Nein, er ist einfach desinteressiert und sonst nichts. Hält es für unter seiner Würde, sich mit uns abzugeben.«
Als sie darauf nichts erwiderte, fragte Martin: »Und Mamâzelle? Meinen Sie, Sie kommen mit ihr zurecht?«
»O ja, ich glaube schon.«
»Ich warne Sie, sie hat eine scharfe Zunge. Allerdings bekommt Hunter die im Moment am meisten zu spüren.«
»Mag Andrée ihn nicht?«
»Sie hat ihn mal angebetet .« Martin verdrehte die Augen. »Es war eine heiÃe Liebe, und dann war von einem Tag auf den anderen Schluss. Wenn die beiden jetzt im selben Raum sind, herrscht nur noch dicke Luft.«
»Das ist das Dumme bei solchen Geschichten unter Kollegen. Wenn es schiefgeht, gibt es keine Möglichkeit, dem anderen aus dem Weg zu gehen.«
»Ich verstehe mich eigentlich ganz gut mit Jock. Ich glaube, seine Familie hat einen groÃen Besitz, jedenfalls legt er manchmal Allüren an den Tag wie ein Gutsherr, der es gewöhnt ist, den Ton anzugeben. Er kann sehr launisch sein. Und Mamâzelle ist unberechenbar. Die beiden waren wahrscheinlich wie Hund und Katz miteinander.«
Bei ihrer Begegnung im Aufenthaltsraum an diesem Morgen hatte Jock Hunters Blick nur einen Moment lang ohne die Spur eines Lächelns bei ihr verweilt und sich gleich wieder anderem zugewandt. Ellen wusste, dass ihr begieriges Interesse an ihm nichts Reales war, eher so etwas wie eine Ãbertragung der Hoffnungen und der aufgeregten Erwartung, die ihrer neuen Arbeit galten. Er war unbestreitbar ein gut aussehender Mann, aber wenn man jemanden als Freund oder Kollegen näher kennenlernte, spielte das Aussehen keine Rolle mehr.
»Und wie fanden Sie Pharoahs kleinen Vortrag heute Morgen?«, erkundigte sich Martin. »Sie wissen schon â« er gab seiner Stimme einen salbungsvollen Klang â, ȟber die Erschaffung einer Forschungsstätte zur disziplinenübergreifenden Zusammenarbeit â¦Â«
»Ich fand die Vorstellung anregend.«
»Ja, das ist sie vielleicht, wenn man sie noch nie gehört hat.« Martin spielte mit einem Bierdeckel. »Ab und zu baut er sie ein bisschen aus für neue Anhänger wie Sie.«
»Hat Dr. Pharoah Familie?«
»Eine Frau, Alison, und eine Tochter, Rowena. Sie leben in Barton. Alison ist eine ziemlich hochnäsige Zicke. Ich sollte das
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