Analog 06
ruderten wir zurück, meine Priester und ich, und so geblendet waren wir vom Licht, daß uns die Nacht schwarz und sternenlos erschien.“
„Was hat Ös dir gesagt …?“ hatte sie zu fragen gewagt.
„Ich glaube, das wird Ös dir selbst sagen wollen.“
Sie, sie sollte Gott sehen, zu Gott sprechen, die langsamen, göttlichen Worte von Ös mit eigenen Augen schauen! Sie, Wink!
„… Warum ich ?“ hatte sie verzweifelt geschimmert.
„Es ist Gottes Wille, daß eine gehen soll, die jung, gesund und stark ist, die über die meisten Diener hinausragt, die geschickt ist in der Gabe der Kommunikation, die eine gute Sängerin mit klarem Verstand ist, deren Fähigkeiten die eines unglücklicherweise sehr hohen Prozentsatzes von Fischern und früheren Fischern überragen, Diener oder nicht … ganz besonders aber eine, die geduldig ist, über einen offenen Geist verfügt, die nicht allzu sehr von den Binsenweisheiten unserer Gesellschaft geprägt ist, die intuitiv, phantasievoll und überdurchschnittlich intelligent ist. Damit scheidet der größte Teil der Bevölkerung auch schon aus. Darüber hinaus halten wir es für ratsam, diese neuen Vorstellungen vorerst noch unter uns zu behalten. Hinzu kommt auch noch unsere Forderung, daß die Kandidatin einen guten Leumund besitzen und die Notwendigkeit der Pflichterfüllung hinreichend begreifen muß. Daher befragte ich die Kasten der Priester und Brutschützer, wobei dein Name am häufigsten genannt wurde.
Und was deinen Eintritt in die Ränge der Dienerschaft anbelangt, so ist zur Genüge bekannt, daß nur ein Diener Gottes die besonderen Worte Gottes sprechen und verstehen darf, nicht wahr? Sobald du deine Spezialausbildung beendet hast, wirst du deine neuen Pflichten antreten.“
„Es geschehe nach deinem Willen, Ehrenwerter“, glimmerte sie sanft. „Doch bedeutet das, daß ich niemals Fischerin werden kann?“
„Hattest du tatsächlich damit gerechnet?“
„Ich habe darauf gewartet, vielleicht nicht voller Freude, aber voller … Neugier.“
Er dachte einen Augenblick nach. „Zweifellos die Asketin in dir. Doch dies wird ein weit größeres Abenteuer werden.“
Gott sprach anders als die Sterblichen. Wer konnte ahnen, wie die Gottheit über das Universum meditierte, oder gar – ein unglaublicher Gedanke – mit anderen Einheiten ihrer Art in Gemeinschaft lebte? Doch für die begrenzte Auffassungsgabe der Sterblichen hatte Gott ein lichtspendendes Organ aus dem heiligen Fleisch gefertigt, das nicht so funktionierte wie das der Sterblichen, sondern das riesig, langsam, einfach und nüchtern im Ausdruck war, wie es der Würde eines Gottes wohl zukam.
Wegen seiner Unzulänglichkeiten – die Gott selbstverständlich vorsätzlich als Kotau vor dem Stolz seines Volkes eingeplant hatte –, was Spektrum und Nuancierung der Ausdrucksformen anbetraf, unterschied sich die Ausdrucksweise nicht nur von der Sprache des Erwählten Volkes, sondern auch von den Sprachen aller anderen Stämme, die sie jemals erobert oder sich eingegliedert, oder mit denen sie sonstigen Kontakt gehabt hatten. Dieses Kodesystem der göttlichen Sprache mußte jeder Novize studieren und sich fest einprägen, bevor er oder sie (niemals es) auf eine Beförderung hoffen konnte. Oftmals verloren die Kandidaten vieles von diesem Wissen wieder, während sie lange Jahre als Fischer Gottes tätig waren, so daß sie es bei ihrer Rückkehr in die Stadt erneut lernen mußten.
Gelegentlich war es im Verlauf vieler Generationen dazu gekommen, daß hierophantische Administratoren den Versuch unternommen hatten, dieses scheinbar unzureichende System zu verändern, um beispielsweise unausgebildete Novizen in jungen Jahren in die Wildnis hinauszuschicken und erst nach Erfüllung dieses Teiles ihrer Pflicht mit der Ausbildung zu beginnen. All diese Experimente waren unweigerlich gescheitert. Den Jüngeren fehlte die Reife, den Versuchungen der Wildnis zu widerstehen, wohingegen die ehemaligen Fischer außerstande waren, ein komplexes Konzept zu begreifen, dessen Wurzeln sie nicht schon früher in sich aufgenommen hatten. Daher mußte schon in jungen Jahren eine solide Basis eklektischer Ausbildung erfolgen, in deren Verlauf die Grundlagen eines jeden bedeutenden Themas gelehrt werden mußten, das sich eines Tages als nützlich erweisen konnte.
Nun wurden die endlosen numerischen und willkürlichen Symbole der Sprache Gottes zu Winks ganzem Lebensinhalt. Glücklicherweise mußte sie nicht lernen, sie
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