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Analog 4

Analog 4

Titel: Analog 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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er mußte ihr dabei helfen, indem er ihr immer wieder mit den Händen das feuchte Fell rieb. Sie schien von ihrer Umgebung keine Notiz zu nehmen, sondern lag teilnahmslos mit geschlossenen Augen auf dem Boden.
    Martina wartete still, bis der Häuptling seine männlichen Familienmitglieder mit einer Handbewegung zum Schweigen brachte. Dann zeigte er vor den Augen seiner drei Frauen, zwei Mitgatten, vier Söhne und drei anderen Töchter auf Shi’Lor und sagte: „Du bist ein Kind!“ Sie wandte ihm als Zeichen ihrer Unterwerfung die Kehrseite zu, und er trat zurück. Er rief Aros Namen. Sie kroch aus dem Kreis der Frauen. „Der Häuptling ist sehr erzürnt wegen Aro“, sagte er, „Aro war dumm. Sie hat die älteste Tochter kurz vor Sonnenuntergang allein gelassen, fern vom schützenden Dach.“
    Aro wand sich. „Die jüngste Frau hat Shi’Lor für klug genug gehalten, vor Einbruch der Nacht zurückzukehren.“
    Drohend polterte der Häuptling: „Die jüngste Frau hatte Hunger!“
    Sie drehte ihm das Gesäß zu.
    „Auch morgen wird die jüngste Frau Hunger haben“, sagte der Häuptling, „und am Tag danach. Die älteste Tochter wird eine andere Beschützerin bekommen, wenn ihre Zeit von neuem anbricht.“ Um seine Worte zu unterstreichen, trat er nach Aro, die sich zu einer lebenden Kugel zusammenrollte. Niemand sonst rührte sich. „Wir werden jetzt schlafen!“ verkündete der Häuptling.
    Martina ging hinaus in den Regen.
    Am Morgen erzählte sie ihren Kollegen, was geschehen war.
    „Noch so ein verdammtes Tabu“, murrte Jack. „Die Burschen nehmen alles viel zu ernst.“
    Martina starrte nachdenklich in ihre Kaffeetasse. „Sie wirkte sehr … benommen. Krank.“
    Jack fuhr hoch. „Krank? Ich habe noch nie einen kranken Jinrah gesehen.“
    „Ich habe auch noch niemanden gesehen, der sich in ihrem Zustand befunden hätte.“
    „Glaubst du, sie wäre damit einverstanden, daß ich sie mir einmal ansehe?“
    „Ich weiß es nicht. Hier drinnen geht es auf keinen Fall!“
    „Natürlich nicht. Weißt du, wo sie sich jetzt aufhält?“
    „Ich könnte es mir schon vorstellen.“
    Er ging hinüber ins Biologielabor, um seine tragbare Ausrüstung aufzunehmen. „Dann laß uns gehen.“
    Sie fanden sie unter dem Regendach. Sie hockte zusammengekauert neben der Asche des Feuers und starrte ins Leere, genauso teilnahmslos wie am Abend zuvor. Die anderen Familienmitglieder hatten sich irgendwo in der Umgegend verteilt.
    Martina kauerte sich neben Shi’Lor und berührte sie behutsam an der Schulter. „Die Besucher aus dem Himmel grüßen dich“, sagte sie. „Will die älteste Tochter sie nicht einmal ansehen?“
    Sie hob nicht den Kopf.
    Martina wechselte einen Blick mit Jack, dann sah sie Shi’Lor wieder an. „Die Besucher aus dem Himmel sind Shi’Lors Freunde.“
    Shi’Lor bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, und ihre Stimme klang erstickt zwischen den Fingern hindurch: „Die älteste Tochter ist wieder ein Kind. Sie ist ins Wasser gefallen.“
    „Hat sie sich bei dem Sturz verletzt?“ fragte Jack langsam in Jinrah-Sprache. Er hatte ein umfangreiches Vokabelwissen, doch die Grammatik beherrschte er kaum. Aus diesem Grunde drückte er sich immer in direkten, kurzen Sätzen aus.
    „Es ist schlimm, wenn man ins Wasser fällt“, flüsterte Shi’Lor. „Es ist schlecht, wenn man im Regen draußen ist.“
    Martina streichelte ihr sanft die Schulter. „In Zukunft wird Shi’Lor eben besser achtgeben. Die Besucher aus dem Himmel verstehen dich.“
    „Iiiieeehhii!“ jammerte Shi’Lor und nahm die Hände vom Gesicht. Ihre Zähne waren zusammengepreßt und ihre Augen fest geschlossen. „Shi’Lor war eine Erwachsene, und jetzt ist sie wieder ein Kind! Iiiehh!“ Es war ein so durchdringender Klagelaut, wie ihn Martina nie zuvor gehört hatte.
    „Hat Shi’Lor Schmerzen?“ fragte Jack besorgt.
    Plötzlich sprang die Jinrah auf und schüttelte Martinas Hand ab. „Shi’Lor war eine Frau“, klagte sie, „und jetzt ist sie wieder ein Kind!“ Immer noch schluchzend öffnete sie die Augen und stürzte plötzlich davon ins Freie.
    „Los, komm!“ rief Jack, und ohne abzuwarten, ob Martina ihm folgte, setzte er dem Jinrah-Mädchen nach.
    „Vielleicht sollten wir sie besser allein lassen!“ rief Martina, während sie hinter Jack hereilte. „Nicht so schnell, du holst dir einen Hitzschlag!“ Doch er achtete gar nicht auf sie.
    Zwar waren alle Pfützen versickert, aber der Boden war noch weich vom

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