Analog 4
Zeigefinger. Ohne ihr Vorwissen hätte sie es nicht erkannt.
„Du bist ja eine tolle Xenologin“, sagte er. „Du hast nicht einmal gewußt, daß sie Beutel haben.“
„In dieser Gegend gibt es keine Frau, die ihr Kind in einem Beutel trägt. Sie halten sie in den Armen, und später tragen sie sie auf den Schultern.“
Er nickte. „Wahrscheinlich bleiben sie nur sehr kurze Zeit in dem Beutel. Vielleicht sind wir auch zur falschen Zeit hierhergekommen. Ich schätze, daß alle Kinder im letzten Sommer die Beutel verlassen haben – jetzt sind sie zu alt dazu. Verdammt, ich wünschte, wir könnten bis zum Sommer bleiben, dann hätte ich Gewißheit.“
„Was war mit dem Fötus?“
Er zeigte mit dem Daumen darauf. „Was meinst du, woran der Fötus gestorben ist?“
Sie zuckte die Achseln. „Hat sie ihn abgetrieben?“
Er schüttelte den Kopf. „Er war schon tot, bevor sie ihn in den Fluß geworfen hat. Er ist in der Nacht zuvor gestorben. An Unterkühlung.“
„An Unterkühlung? In diesem warmen Regen? Ich kam mir vor wie in einem Dampfbad.“
„Dir kam es so vor, ihnen vielleicht auch. Aber erinnere dich daran: Sie sagte, sie sei gestürzt. Sie war völlig durchnäßt. Was geschieht, wenn man naß wird? Das Wasser verdunstet, und so entsteht eine kühlende Wirkung. Das Fell und der Beutel bieten einigen Schutz, aber nicht, wenn sie völlig durchnäßt war. Es ist kein Wunder, daß der Regen für die Frauen tabu ist – er tötet ihre Kinder.“
Martina starrte ihn an. „Das ist auch der Grund, warum sie nicht mehr herkommen wollen, das wäre doch möglich. Es ist wegen der Klimaanlage. Die Babys sind gestorben, nachdem die Frauen hier bei uns waren.“
„Genau! Den Erwachsenen macht die Kälte nichts aus, aber die Föten sind zu empfindlich. Darum bleiben sie den ganzen Winter über in den Beuteln, deshalb kommen die Babys erst im angenehm warmen Sommer heraus. Wenn der nächste Winter anbricht, dann sind sie kräftig genug, um ihn zu ertragen.“
Mit gerunzelter Stirn lehnte sich Martina gegen einen Labortisch. „Was denkst du, wie viele wir getötet haben, bevor sie … es bemerkt haben?“
Er spitzte die Lippen. „Ich weiß es nicht, aber etwas anderes weiß ich genau: Wir werden die Klimaanlage abschalten!“
Martina hob die Schultern. „Das hat doch keinen Sinn. Das Unglück ist nun einmal geschehen. Und die davongekommen sind … nun, die werden ja nun durch das Tabu geschützt.“
„Ich will aber, daß sie hierherkommen“, sagte er. „Ich will die Physiologie der weiblichen Jinrah in diesem Labor untersuchen. Also wird die Klimaanlage ausgeschaltet, und zwar sofort.“
„Jack, das kann nicht dein Ernst sein. Die anderen werden es sich nicht gefallen lassen! Es ist einfach zu heiß! Wir brauchen einen Platz, wohin wir uns vor der Hitze flüchten können.“
Er kreuzte die Arme über der Brust. „Meinetwegen können wir sie nachts, zum Schlafen, einschalten, aber während des Tages bleibt sie aus!“
„Jack …“
„Die Sache ist zu wichtig, verdammt noch mal! Wir haben einen Auftrag zu erfüllen, und das gehört dazu. Möchtest du etwa, daß in meinem Bericht steht: Wegen der Weigerung meiner Kollegen, eine kleine Unbequemlichkeit zu ertragen, konnte ich meine Arbeit nicht beenden?“
„Also gut“, sagte Martina. „Wir werden abstimmen.“
„Wir werden nicht abstimmen! Du hast hier das Sagen! Du hast die Autorität, die Maßnahme anzuordnen. Soll ich mich etwa über deinen Kopf an den Kapitän wenden? Dann muß er einen Bericht schreiben.“
„Jack, das wird nicht leicht werden.“
„Je eher wir damit beginnen, desto schneller kann ich meine Jinrah-Untersuchungen abschließen, und wir können es wieder angenehm kühl haben. Bekomme ich nun, was ich will, oder nicht?“
Sie seufzte. „Nun denn, ab morgen keine Klimaanlage mehr.“
Die anderen Mitglieder der Gruppe protestierten lautstark, doch Martina stand zu Jack, und nach einiger Zeit beruhigten sie sich wieder. Von nun an war es tagsüber brütend heiß in der Station. Den Jinrah-Männern gefiel das sehr, aber die Frauen kamen noch immer nicht herein.
Jack bedrängte Martina: „Sprich mit ihnen! Erkläre ihnen alles!“
„Das habe ich getan, Jack, das kannst du mir glauben!“
„Und warum kommen sie dann nicht?“
„Sie haben Angst.“
„Aber hier ist nichts, wovor sie Angst haben müßten.“
„Das verstehen sie nicht.“
„Dann erkläre es ihnen noch einmal.“
Sie schüttelte den Kopf. „Du
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