Analog 4
„Vielleicht irre ich mich auch. Durch eine Autopsie könnte man feststellen, ob ich unrecht habe oder ob es stimmt.“
„Ich werde es mir überlegen“, erwiderte Martina.
Auf der Schwelle ihrer Kammer drehte er sich noch einmal um. „Ich kann dir übrigens sagen, was die Jinrah essen, ganz gegen deine Beobachtungen: die heiligen Pflanzen. Ihr Speichel ist voller Protein von diesen geheiligten Pflanzen.“
Ihre Augen wurden schmal. „Woher weißt du über die Proteine dieser Pflanzen Bescheid?“
Sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. „Ich habe mir ein paar Proben besorgt.“
„Hast du wilde Pflanzen gefunden?“
„Willst du es wirklich wissen?“
„Du hast also meine Befehle mißachtet?“
„Ich habe meine Arbeit getan.“
Sie ging auf ihn zu und stieß ihn durch die Türöffnung. „Ich will sie sehen.“
„Man kann die Pflanzen nicht mehr erkennen, ich habe sie präpariert.“
„Wie sahen deine Proben denn ursprünglich aus?“
„Nur ein paar kleine Zweige mit Blättern.“
„Von wie vielen Pflanzen?“
„Zwei.“
Sie packte ihn an der Schulter, ihre Finger gruben sich in sein Fleisch. „Zwei Pflanzen, sagst du?“
Er umklammerte ihr Handgelenk, konnte aber ihren Griff nicht lösen. Da drückte er zu. Einen Augenblick lang standen sie schweigend da und fügten einander Schmerzen zu.
„Zeig mir die beiden Pflanzen!“ sagte sie schließlich.
„Sie sind tabu, vergiß das nicht.“
„Zeig sie mir aus der Feme. Ich will genau wissen, von welchen Pflanzen du etwas abgeschnitten hast. Los, komm!“
„In Ordnung.“ Er ließ ihr Handgelenk und sie seine Schulter los. Auf ihrer Haut waren rote Druckstellen zu sehen, und auf seiner Schulter zeigten sich ein paar Blutströpfchen. „Ich muß mir erst ein Pflaster auf diese Kratzer kleben“, sagte er, „ich will niemanden mit meinem Blut beschmieren.“
Später führte er sie zu einem heiligen Hain, der ein paar Kilometer von der Station entfernt war, und zeigte auf die Pflanzen, die er beschnitten hatte. Sie stand außerhalb des Umzäunungsgürtels aus niedrigem Buschwerk und musterte die Pflanzen durch das leise summende, automatische Fernrohr. Sie konnte nichts Besonderes feststellen. Die Pflanzen unterschieden sich in nichts von den Nachbarstauden: hohe, schlanke Gewächse, dicht mit Blattbüscheln besetzt.
„Wahrscheinlich kennen die Besitzer jeden verdammten Zweig ihrer Pflanzen“, murmelte sie. Fast hätte sie Jack angebrüllt, doch es gelang ihr, sich zu beherrschen, indem sie das Fernglas mit aller Kraft umklammerte. „Sie haben es gewußt, Jack. Sie haben ihre Pflanzen nur einmal angesehen und gewußt, daß das Tabu gebrochen wurde!“
„Wenn diese Pflanzen überhaupt den toten Jinrah gehört haben. Woher willst du das wissen?“
„Ich weiß es noch nicht, aber ich werde es herausfinden. Inzwischen verbiete ich dir, diese Autopsie vorzunehmen. Ich verbiete es als dein Vorgesetzter, und wenn du meine Befehle mißachtest, dann werde ich den Kapitän sofort davon in Kenntnis setzen. Hast du mich verstanden?“
„Verstanden“, zischte er grimmig.
„Beschäftige dich lieber mit deinen gestohlenen Pflanzen! Du wolltest sie ja unbedingt haben. Und vergreife dich nicht noch einmal an denen im Hain. Klar?“
„Gestohlene Pflanzen?“
„Ja, du hast sie gestohlen. Diese Pflanzen sind Privatbesitz. Wenn du die Jinrah schon nicht respektierst, dann respektiere wenigstens mich!“
„Ja, Sir“, sagte er und fuhr mit der Hand zu einem spöttischen Gruß an die Stirn.
Voller Abscheu kehrte sie ihm den Rücken zu und begab sich auf die Suche nach dem Häuptling. Sie fand ihn in den Erntegründen seiner Familie, wo er Beeren sammelte. Er ließ sie ihre Bitte vortragen, hörte ihre Versicherung, daß sie die Pflanzen nicht berühren wollte. Schließlich stimmte er zu, daß ein Mitglied der betroffenen Familie ihr die Pflanzen aus der Ferne zeigen sollte. Für die Familie war eine Bitte des Häuptlings wie ein Befehl, und so stand Martina bald wieder vor dem heiligen Hain, von einem Gatten der Familie begleitet. Er wies genau auf jene Pflanzen, von denen Jack seine Proben genommen hatte.
„Jetzt gehören sie niemandem mehr“, sagte er, „und niemand gehört zu ihnen. Sie werden bald verwelken und absterben und keine Kinder hinterlassen. Es ist sehr traurig, wenn man ohne Kinder stirbt.“
„Warum werden sie niemanden mehr haben?“ fragte Martina.
„Die Toten hatten keine Kinder.“
„Aber wieso
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