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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Sein Weg war auf jeden Fall um vieles gefährlicher als unserer.
    Über dem Busbahnhof hing ein Jagdflieger. Die Sterne auf den Tragflächen waren vom Regen verwaschen, aus dem Betonsockel quoll trockenes Gras. Unser Fahrer war jetzt auf dem Heimweg und drückte in seiner Klapperkiste aufs Gas, im Motor kochte das Blut, der Kühler war voller Federn. Vielleicht hatte er sich schon überschlagen. Wir liefen um den Jagdflieger herum und ließen uns ins Gras fallen. Busse fuhren keine. Eine bewegende Geschichte ohne jegliche Folgen.
9. Die Geister folgen meinem Haschisch.
    Da kam Weiß zurück. Wir hatten im Gras gelegen, waren zum Bahnhof gegangen, um Wasser zu trinken, waren in die Stadt gegangen, um Bier zu holen, lümmelten ein paar Stunden unter unserem Jagdflieger mit den verwaschenen Sternen herum, und auf einmal kam Weiß zurück. Dr. phil. hatte wahrscheinlich kapiert, daß man die kleinste sich bietende Gelegenheit nutzen muß, solche bewußtseinserweiternden Orte mit Heldengeschichte aufzusuchen, natürlich kannst du bis zum Abwinken historische Romane schreiben und das Blut unschuldiger Vampire spritzen lassen, trotzdem solltest du dich wenigstens einmal in zehn Jahren aufraffen und in so ein namenloses Steppennest fahren, wo der Staub über den zentralen Platz fegt und die örtlichen Plantagenbesitzer vor dem einzigen Bistro sitzen und himmelklaren Wodka trinken, und dort warten deine Freunde schon seit Stunden unter einem Jagdflieger auf dich, ohne dich wird deinen Freunden immer trauriger zumute, doch dank dem Alkohol bessert sich ihre Laune, und wenn du pünktlich bist, triffst du sie in einer merkwürdig gehobenen Stimmung an, in der es sich gut reden und weiterziehen läßt. Gegen Abend hatten wir uns in den Wald von Dibriwka durchgeschlagen.
    Weiß wollte uns die historische Eiche zeigen, unter der Machno »Vater« genannt worden sein soll. Als wir in Dibriwka ankamen, gerieten wir an einen Autofahrer, der sich mit Politik auskannte, er nahm uns mit und erteilte uns einen Kurzen Lehrgang in der Geschichte der örtlichen Kommunistischen Partei, und mit Verwunderung nahmen wir zur Kenntnis, daß die oben erwähnte Eiche vor einigen Jahren von Pionieren abgefackelt worden war; als sie dort irgendein Pionierfest feierten, vielleicht Lenins Geburtstag, keine Ahnung, da haben sie die Eiche abgefackelt, außerdem erfuhren wir, daß das Heimatmuseum vor sich hindümpelt, der Direktor das letzte Arschloch ist, allen mit den Scheißwahlen auf die Nerven geht und sich um Vater Machno mit seinen Eichen einen feuchten Dreck schert, mit einem Wort, die Situation war für uns nicht förderlich, wir verließen Dibriwka und gingen einfach in den Wald, wir dachten uns, na gut, die Eiche haben die Pioniere abgefackelt, was soll’s, sind eben Kinder, der Direktor ist ein Arschloch, kann man auch verstehen, nervt mit den Wahlen, ebenfalls nichts Neues, aber auch er, dieser kranke Direktor, der seine Ehre, sein Gewissen und seine historische Aufgabe gegen einen fetten Verwaltungsinventarstempel auf seinem Direktorenarsch verkauft hat, auch er kann nicht verhindern, daß wir uns in den Wald schlagen und so lange dort bleiben, wie wir wollen, und wie lange wir wollen, das ist allein unsere Sache und geht nur uns etwas an, vielleicht noch den Förster.
    Ich habe schon an den verschiedensten Orten und unter den verschiedensten Bedingungen genächtigt. Ein paar Nächte lang habe ich auf dem Bahnhof in Lwiw auf Paketen mit Faschozeitungen geschlafen, die ich zum Verteilen mitgebracht hatte, ich habe an der ukrainisch-ungarischen Grenze genächtigt, mit einer Schulklasse, die auf Klassenfahrt war und offenbar dachte, daß auch ich auf Klassenfahrt bin, ich habe betrunken am Strand eines Flusses genächtigt, und Rettungsschwimmer und Badegäste sind um mich herumgelaufen, um herauszufinden, ob ich schon ertrunken bin oder nicht, ich habe auf Parkbänken genächtigt und in winterlichen Bummelzügen auf dem Bahnhof Pjatychatky, ohne Chance, von dort wegzukommen, einmal habe ich in einem Pionierlager auf einer Tischtennisplatte genächtigt, mein Freund und ich waren zum Pädagogikpraktikum hergekommen, aber nachdem sie uns den gesamten Schnaps weggetrunken hatten, teilten uns die Pionierleiterinnen mit, wir müßten nicht unbedingt dableiben, für die Kinder wäre es auch besser, und wir könnten wieder abhauen, wir legten uns also auf die Tischtennisplatte, jeder auf eine Seite des Netzes, und am Morgen sind wir tatsächlich wieder

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