Anna Karenina
einem schweren Seufzer.
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Als Oblonski an Ljewin die Frage gerichtet hatte, zu welchem Zwecke er denn eigentlich nach Moskau gekommen sei,
war Ljewin rot geworden und ärgerte sich nun nachher eben darüber, daß er rot geworden war und es nicht
fertiggebracht hatte, ihm zu antworten: ›Ich bin hergekommen, um deiner Schwägerin einen Heiratsantrag zu machen‹,
wiewohl dies der einzige Zweck seiner Reise war.
Die Ljewins und die Schtscherbazkis waren alte Moskauer Adelsfamilien und hatten immer in nahen,
freundschaftlichen Beziehungen zueinander gestanden. Diese Verbindung hatte sich während Ljewins Studienzeit noch
mehr befestigt. Er hatte sich mit dem jungen Fürsten Schtscherbazki, dem Bruder von Dolly und Kitty, zusammen auf
den Besuch der Universität vorbereitet und sie mit ihm zugleich bezogen. Zu jener Zeit verkehrte Ljewin viel im
Schtscherbazkischen Hause und war in dieses Haus verliebt. So seltsam es auch scheinen mag, Konstantin Ljewin war
geradezu in das Haus verliebt, in die Familie, besonders in die weibliche Hälfte der Familie Schtscherbazki. Ljewin
selbst konnte sich seiner Mutter nicht entsinnen, und seine einzige Schwester war älter als er, so daß er im
Schtscherbazkischen Hause zum ersten Male der Welt einer alten, gebildeten, ehrenhaften Adelsfamilie begegnete, die
er im eigenen Hause infolge des Todes seines Vaters und seiner Mutter nicht hatte kennenlernen können. Alle
Mitglieder dieser Familie, und besonders der weibliche Teil, erschienen ihm wie von einem geheimnisvollen
poetischen Schleier verhüllt, und er nahm an ihnen nicht nur keine Mängel wahr, sondern vermutete auch hinter
diesem poetischen verhüllenden Schleier die edelsten Gesinnungen und alle nur denkbaren Vollkommenheiten. Weshalb
diese drei jungen Damen tagelang Französich und Englisch sprechen mußten; weshalb sie zu bestimmten Stunden
abwechselnd Klavier spielten (die Klänge des Instruments waren oben im Zimmer des Bruders zu hören, wo die beiden
Studenten arbeiteten); weshalb alle diese Lehrer, für französische Literatur, für Musik, für Zeichnen, für Tanzen,
ins Haus kamen; weshalb zu bestimmten Stunden die drei jungen Damen mit Mademoiselle Linon in der Kutsche nach dem
Twerskoi-Boulevard fuhren, alle in ihren Atlaspelzen, und zwar Dolly in einem langen, Natalja in einem halblangen
und Kitty in einem ganz kurzen, so daß ihre wohlgestalteten Beinchen in den straff sitzenden roten Strümpfen ganz
zu sehen waren; warum sie in Begleitung eines Dieners mit einer goldenen Kokarde am Hute auf dem Twerskoi-Boulevard
spazierengehen mußten: alles dies und vieles andere, was in ihrer geheimnisvollen Welt geschah, verstand Ljewin
nicht; aber er wußte, daß alles, was dort geschah, vortrefflich war, und gerade das Geheimnisvolle all dieser
Vorgänge lockte und reizte ihn.
Als Student hätte er sich beinah in Dolly, die Älteste, verliebt; jedoch verheiratete sich diese sehr bald mit
Oblonski. Darauf wandte er der zweiten seine Neigung zu; er hatte gleichsam die Empfindung, daß er sich in eine der
drei Schwestern verlieben müsse, und konnte sich nur nicht klarwerden, in welche nun eigentlich. Aber auch Natalja
fand, gleich nachdem sie in die Gesellschaft eingeführt war, einen Gatten: den Diplomaten Lwow. Kitty war, als
Ljewin die Universität verließ, noch ein Kind. Der junge Schtscherbazki, der zur Marine gegangen war, ertrank in
der Ostsee, und Ljewins Verkehr mit der Familie Schtscherbazki wurde, trotz seiner Freundschaft mit Oblonski,
seltener. Aber als Ljewin, nach einem einjährigen Aufenthalte auf seinem Gute, zu Anfang dieses Winters nach Moskau
gekommen war und bei Schtscherbazkis einen Besuch machte, da ging ihm die Erkenntnis auf, in welche von den drei
Schwestern sich zu verlieben ihm vom Schicksal bestimmt war.
Man hätte nun meinen sollen, es wäre nichts einfacher gewesen, als daß er, ein Mann von guter Herkunft,
zweiunddreißig Jahre alt und eher reich als arm zu nennen, um die Hand der Prinzessin Schtscherbazkaja angehalten
hätte; aller Wahrscheinlichkeit nach wäre er sofort als eine gute Partie erachtet und angenommen worden. Aber
Ljewin war verliebt, und daher hatte er die Vorstellung, Kitty sei in jeder Beziehung ein solcher Inbegriff von
Vollkommenheit, ein so hoch über allem Irdischen stehendes Wesen, er selbst dagegen ein so irdisches, niedriges
Geschöpf, daß gar nicht daran zu denken sei, daß andere und sie selbst ihn ihrer für würdig halten
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