Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
aber so nett, daß es mir das größte Vergnügen macht, sie Ihnen zu erzählen«, sagte Wronski und sah sie mit lachenden Augen an. »Ich werde keine Namen nennen.«
»Dann werde ich sie raten; das ist noch ergötzlicher.«
»Nun, dann hören Sie zu! Es fahren also zwei lustige junge Männer ...«
»Natürlich Offiziere von Ihrem Regiment?«
»Ich habe nicht gesagt ›Offiziere‹, sondern einfach ›zwei junge Männer‹. Also die fahren nach einem Frühstück ...«
»Soll heißen: gehörig betrunken ...«
»Kann schon sein. Sie fahren in heiterster Stimmung zu einem Kameraden zum Diner. Und da sehen sie, wie ein hübsches weibliches Wesen sie in einer Droschke überholt, sich nach ihnen umsieht und – so schien es ihnen wenigstens – ihnen zunickt und lacht. Sie natürlich hinter ihr her. Sie lassen den Kutscher jagen, so schnell die Pferde nur laufen können. Zu ihrem Erstaunen läßt die Schöne ihre Droschke vor demselben Hause halten, wohin sie selbst wollten. Die Schöne läuft die Treppe zum ersten Stock hinauf. Sie sehen nur die roten Lippen unterhalb des kurzen Schleiers und die kleinen, allerliebsten Füßchen.«
»Sie erzählen das mit so viel Gefühl, daß ich vermute, Sie sind selbst einer von den beiden gewesen.«
»Aber was haben Sie noch vor wenigen Minuten zu mir gesagt? Nun also, die jungen Männer gehen in die Wohnung ihres Kameraden, bei dem ein Abschiedsdiner stattfindet. Da trinken sie tüchtig, vielleicht auch etwas zuviel, wie das ja bei einem Abschiedsdiner immer so zugeht. Bei Tische erkundigen sie sich, wer denn in diesem Hause den oberen Stock bewohne. Niemand weiß es, und nur der Diener des Gastgebers gibt auf ihre Frage, ob da oben ›solche Damen‹ wohnen, die Antwort: ›Jawohl, eine ganze Menge.‹ Nach dem Diner begeben sich die jungen Männer in das Arbeitszimmer des Gastgebers und verfassen da einen Brief an die Unbekannte, einen ganz leidenschaftlichen Brief, eine Liebeserklärung, und tragen dann selbst diesen Brief hinauf, um, wenn in dem Briefe etwas nicht ganz verständlich sein sollte, die nötigen Erläuterungen zu geben.«
»Warum erzählen Sie mir solche Abscheulichkeiten? Nun weiter!«
»Sie klingeln. Ein Dienstmädchen öffnet, sie händigen ihr den Brief ein und beteuern dem Dienstmädchen, sie seien beide so verliebt, daß sie gleich da an der Tür sterben müßten. Das Mädchen, in höchster Verwunderung, redet mit ihnen hin und her. Auf ein mal erscheint ein Herr mit einem Backenbart; dieser Backenbart sah genauso aus, wie wenn rechts und links je ein Würstchen hinge; vor Wut rot wie ein Krebs, erklärt ihnen der Herr, es wohne niemand weiter dort außer ihm und seiner Frau, und jagt die beiden aus dem Vorsaal hinaus.«
»Woher wissen Sie denn das, daß er einen solchen Backenbart hat – wie sagten Sie doch? – in Würstchenform?«
»Hören Sie nur zu! Heute bin ich da gewesen, um sie zu versöhnen.«
»Nun, und wie ist es geworden?«
»Jetzt kommt das Interessanteste. Es stellt sich heraus, daß dieses glückliche Ehepaar ein Titularrat mit seiner Gattin ist. Der Titularrat reicht eine Klage ein, und ich werde Friedensvermittler, und was für einer! ... Ich versichere Sie, Talleyrand war ein Stümper gegen mich.«
»Worin liegt denn die Schwierigkeit?«
»Hören Sie nur weiter zu! – Wir baten also um Entschuldigung, wie es sich gehört: ›Wir sind in Verzweiflung und bitten, das unselige Mißverständnis gütigst zu verzeihen.‹ Der Titularrat mit den Würstchen beginnt milder zu werden, möchte aber doch auch seine eigenen Gefühle schildern; jedoch, sowie er damit anfängt, gerät er wieder in Hitze und sagt die größten Grobheiten, und ich muß von neuem alle meine diplomatischen Künste spielen lassen. ›Ich muß zugeben, daß das Benehmen der beiden Herren unangemessen war; aber ich möchte Sie bitten, doch auch in Betracht zu ziehen, daß sie sich in einem Irrtum befanden und daß sie noch in sehr jugendlichem Alter stehen; dazu kommt noch, daß die beiden jungen Männer eben erst gefrühstückt hatten. Sie bereuen das Getane von ganzer Seele und bitten, ihnen ihre Schuld zu verzeihen.‹ Wieder wird der Titularrat freundlicher. ›Ich erkläre mich einverstanden, Herr Graf, und bin bereit zu verzeihen; aber versetzen Sie sich in meine Lage, meine Frau, meine Frau, eine anständige Dame, sieht sich einer solchen Behandlung ausgesetzt, solchen Nachstellungen,
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