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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Empfindung, daß ich von meiner
    Landwirtschaft keinen rechten Vorteil habe, und doch arbeitet man weiter ... Man fühlt eine Art von Verpflichtung
    dem Grund und Boden gegenüber.«
    »Da möchte ich Ihnen noch etwas erzählen«, fuhr der Gutsbesitzer fort. »Mein Nachbar, ein Händler, war bei mir
    zu Besuch. Wir gingen durch die Wirtschaft, durch den Garten. ›Nein‹, sagte er, ›Stepan Wasiljewitsch, alles ist ja
    bei Ihnen in schönster Ordnung; aber um den Garten haben Sie sich nicht recht gekümmert.‹ Dabei ist mein Garten
    sehr gut in Ordnung. ›Meines Erachtens müßte diese Linde umgehauen werden. Aber es müßte zur Saftzeit geschehen.
    Sie haben hier ja wohl tausend Linden auf Ihrem Gute; jede würde zwei gute Stücke Bast liefern. Und der Bast steht
    heutzutage hoch im Preise. Und die Stämme würde ich zu Bauholz behauen lassen.‹«
    »Und für dieses Geld würde er Vieh aufkaufen oder auch ein Stück Land zu einem Spottpreise erstehen und es an
    die Bauern verpachten«, fügte Ljewin lächelnd als Schluß hinzu; denn es waren ihm offenbar selbst schon oft
    ähnliche Vorschläge entgegengebracht worden. »Und solche Leute erwerben sich auf diese Art ein Vermögen. Aber Sie
    und ich, wir können froh sein, wenn wir uns das Unsrige erhalten und es unseren Kindern hinterlassen.«
    »Sie sind verheiratet, wie ich gehört habe?« sagte der Gutsbesitzer.
    »Ja«, antwortete Ljewin mit stolzer Befriedigung. »Ja, eigentlich ist es doch sonderbar«, fuhr er fort, »da
    leben wir nun so ohne viel Nachdenken dahin, als wären wir, wie im Altertum die Vestalinnen, dazu angestellt, so
    eine Art von heiligem Feuer zu unterhalten.«
    Der Gutsbesitzer lächelte unter seinem grauen Schnurrbart.
    »Es gibt unter uns auch einzelne – wie zum Beispiel unser Freund Nikolai Iwanowitsch dort oder der Graf Wronski,
    der sich jetzt bei uns niedergelassen hat – die eine landwirtschaftliche Industrie betreiben möchten; aber bis
    jetzt führt das noch zu weiter nichts als zum Verlust des Kapitals.«
    »Aber warum machen wir es denn nicht wie die Händler und fällen die Bäume in unserm Garten, um des Bastes
    willen?« fragte Ljewin, zu dem Gedanken zurückkehrend, der vorhin seine Aufmerksamkeit erweckt hatte.
    »Uns liegt es eben ob, wie Sie so richtig sagten, das heilige Feuer zu unterhalten. Das wäre auch keine
    Handlungsweise, wie sie sich für einen Edelmann schickt. Und unser Wirken als Edelleute vollzieht sich auch nicht
    hier, bei den Wahlen, sondern dort in unserm stillen Winkel. Es gibt auch ein eigenes angeborenes Standesgefühl,
    das einem sagt, was man tun soll und was man nicht tun soll. Sehen Sie, mit unseren Bauern ist es dieselbe
    Geschichte; ich beobachte das so manchmal: wenn einer ein tüchtiger Bauer ist, dann sucht er Land zu pachten,
    soviel er kriegen kann. Mag es auch noch so schlecht sein, er pflügt es doch. Ebenfalls ohne Gewinn. Geradezu mit
    Verlust.«
    »Ganz wie wir«, sagte Ljewin. »Es ist mir sehr, sehr angenehm gewesen, Sie zu treffen«, fügte er hinzu, als er
    sah, daß Swijaschski auf ihn zukam.
    »Wir haben uns hier zum ersten Male wiedergesehen, seit wir uns bei Ihnen kennengelernt haben«, sagte der
    Gutsbesitzer, »und sind auch gleich ins Reden gekommen.«
    »Nun, da haben Sie gewiß auf die neumodischen Einrichtungen geschimpft?« fragte Swijaschski lächelnd.
    »Ohne das geht es nicht ab.«
    »Wir haben uns das Herz erleichtert.«
Fußnoten
    1 (frz.) Staatsstreich.

30
    Swijaschski faßte Ljewin unter den Arm und ging mit ihm zu der Gruppe seiner Parteigenossen hinüber. Jetzt ließ
    sich eine Begegnung mit Wronski nicht mehr vermeiden. Er stand mit Stepan Arkadjewitsch und Sergei Iwanowitsch
    zusammen und blickte dem herankommenden Ljewin gerade entgegen.
    »Sehr erfreut. Ich hatte wohl schon das Vergnügen, mit Ihnen zusammenzutreffen ... bei der Fürstin
    Schtscherbazkaja«, sagte er, indem er Ljewin die Hand reichte.
    »Ja, ich erinnere mich unserer Begegnung recht wohl«, versetzte Ljewin, und da er fühlte, daß er dunkelrot
    wurde, wandte er sich sogleich von ihm weg und knüpfte ein Gespräch mit seinem Bruder an.
    Leise lächelnd setzte Wronski seine Unterhaltung mit Swijaschski fort; es lag ihm offenbar nicht das geringste
    daran, mit Ljewin in ein Gespräch zu kommen; Ljewin dagegen wendete sich, während er mit seinem Bruder sprach,
    unaufhörlich nach Wronski um und überlegte, worüber er wohl mit ihm zu sprechen anfangen könnte, um seine
    Unhöflichkeit

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