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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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die mitten hindurch ziehende Milchstraße mit ihren Verzweigungen. Bei jedem Aufflammen eines
    Blitzes verschwanden nicht nur die Milchstraße, sondern auch die hellen Sterne; aber sobald der Blitz erlosch,
    leuchteten sie wieder, wie von einer treffsicheren Hand dorthin geworfen, an denselben Stellen auf.
    ›Was macht mir denn noch Schwierigkeit?‹ fragte sich Ljewin und fühlte im voraus, daß die Lösung seiner Zweifel,
    obgleich sie ihm noch nicht bekannt war, doch schon in seiner Seele bereitlag.
    ›Ja, das einzige, wodurch die Gottheit in deutlicher, zweifelsfreier Form in Erscheinung getreten ist, das sind
    die Gesetze des Guten, die der Welt durch Offenbarung kundgegeben sind und die ich in mir fühle und durch deren
    Anerkennung ich, auch wenn ich diese Vereinigung nicht ausdrücklich selbst vollziehe, doch, ob ich will oder nicht,
    mit anderen Menschen zu einer Gemeinschaft von Gläubigen vereinigt bin, die man Kirche nennt. Nun, und die Juden,
    die Mohammedaner, die Anhänger des Konfutse, die Buddhisten, was sind denn die?‹ fragte er sich; das war jene
    Frage, die ihm so gefährlich erschienen war. ›Bleiben diese Hunderte von Millionen Menschen wirklich jenes höchsten
    Gutes unteilhaftig, ohne das das Leben keinen Wert hat?‹ Er wurde nachdenklich, wies sich aber alsbald zurecht.
    ›Aber wonach frage ich da?‹ sagte er zu sich selbst. ›Ich frage, in welcher Beziehung alle die verschiedenartigen
    Religionen der Menschheit zur Gottheit stehen. Ich frage danach, was die gemeinsame Form sei, in der Gott für die
    ganze Welt samt allen diesen Nebelflecken in Erscheinung tritt. Was tue ich denn? Mir persönlich, meiner Seele ist
    in unzweifelhafter Weise eine Kenntnis offenbart worden, die durch den Verstand nicht erreichbar ist, und da will
    ich hartnäckig diese Kenntnis durch den Verstand und durch Worte ausdrücken!‹
    ›Ich weiß ja, daß die Sterne nicht einherwandeln‹, sagte er zu sich selbst und blickte zu einem hellen Stern
    hinauf, der bereits seine Stellung bei dem höchsten kleinen Zweige einer Birke verändert hatte. ›Und doch kann ich,
    wenn ich die Bewegung der Sterne betrachte, mir nicht vorstellen, daß es die Erde ist, die sich dreht, und ich habe
    recht, wenn ich sage, daß die Sterne einherwandeln.
    Und hätten etwa die Astronomen irgend etwas verstehen und berechnen können, wenn sie alle die schwierigen,
    verschiedenartigen Bewegungen der Erde mit berücksichtigt hätten? Alle ihre staunenswerten Folgerungen über die
    Entfernungen, das Gewicht, die Bewegungen und Abirrungen der Himmelskörper gründen sich nur auf die scheinbare
    Bewegung der Gestirne um die unbewegliche Erde, auf eben die Bewegung, die ich jetzt vor mir habe und die so vielen
    Millionen von Menschen die Jahrhunderte hindurch ebenso erschienen ist, die immer die gleiche war und sein wird und
    immer überprüft werden kann. Und wie die Folgerungen der Astronomen unzuverlässig und nichtig wären, wenn sie sich
    nicht auf die Beobachtungen des scheinbaren Himmels mit der Festsetzung eines einzigen Meridians und eines einzigen
    Horizontes gründeten, so würden auch meine Folgerungen unzuverlässig und nichtig sein, wenn sie sich nicht auf
    jenen Begriff des Guten gründeten, der für alle immer der gleiche war und sein wird und der mir durch das
    Christentum offenbart ist und immer in meiner Seele nachgeprüft werden kann. Die Frage aber nach den anderen
    Religionen und ihren Beziehungen zur Gottheit zu entscheiden, dazu habe ich kein Recht und keine Möglichkeit.‹
    »Ach, du bist noch nicht hineingegangen?« hörte er auf einmal Kitty sagen, die auf demselben Wege nach dem
    Wohnzimmer ging. »Was ist dir? Du bist doch nicht verstimmt?« fragte sie und blickte ihm beim Licht der Sterne
    forschend ins Gesicht.
    Aber sie hätte sein Gesicht doch nicht deutlich erkennen können, wenn es nicht wieder von einem Blitz, der die
    Sterne verschwinden ließ, beleuchtet worden wäre. Beim Licht des Blitzes erblickte sie deutlich sein ganzes
    Gesicht, und als sie sah, daß er ruhig und froh war, lächelte sie ihm zu.
    ›Sie versteht mich‹, dachte er, ›sie weiß, woran ich denke. Soll ich ihr alles sagen oder nicht? Ja, ich will es
    ihr sagen.‹ Aber in demselben Augenblick, wo er anfangen wollte zu sprechen, begann sie gleichfalls zu reden.
    »Was ich noch sagen wollte, Konstantin! Tu mir doch den Gefallen«, sagte sie, »geh in das Eckzimmer und sieh zu,
    ob auch alles für Sergei Iwanowitsch in Ordnung

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