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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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?«Ich ging in die Küche: im Eisschrank war der Kognak, es standen auch ein paar Flaschen Mineralwasser da, Zitronenlimonade und eine Flasche Rotwein. Ich nahm von jeder Sorte eine Flasche, trug sie ins Wohnzimmer und reihte sie vor meinem Vater auf dem Tisch auf. Er nahm die Brille aus der Tasche und stu- dierte die Etiketts. Kopfschüttelnd schob er als erstes den Kognak beiseite. Ich wußte, daß er gern Kognak trank, und sagte gekränkt: »Aber es scheint eine gute Marke zu sein.« - »Die Marke ist vorzüglich«, sagte er, »aber der beste Kognak ist keiner mehr, wenn er eisgekühlt ist.«
    »Mein Gott«, sagte ich, »gehört Kognak denn nicht in den Eisschrank?« Er blickte mich über seine Brille hinweg an, als wäre ich soeben der Sodomie überführt worden. Er ist auf seine Weise auch ein Ästhet, er bringt es fertig, den Toast morgens dreimal, viermal in die Küche zurückzuschicken, bis Anna genau die richtige Bräunungsstufe herausbringt, ein stiller Kampf, der jeden Morgen neu beginnt, denn Anna hält Toast sowieso für »angelsächsischen Blödsinn«. - »Kognak im Eisschrank«, sagte mein Vater verächtlich, »wußtest du wirklich nicht - oder tust du nur so? Man weiß ja nie, wo man mit dir dran ist!«
    »Ich wußte es nicht«, sagte ich. Er sah mich prüfend an, lächelte und schien überzeugt.
    »Dabei habe ich soviel Geld für deine Erziehung ausgegeben«, sagte er. Das sollte ironisch klingen, so wie eben ein fast siebzigjähriger Vater mit seinem voll erwachsenen Sohn spricht, aber die Ironie gelang ihm nicht, sie fror an dem Wort Geld fest. Er verwarf kopfschüttelnd auch die Zitronenlimonade und den Rotwein und sagte: »Unter diesen Umständen erscheint mir Mineralwasser als das sicherste Getränk.« Ich holte zwei Gläser aus der Anrichte, öffnete eine Mineralwasserflasche.
    Wenigstens das schien ich richtig zu machen. Er nickte wohlwollend, während er mir
    »Stört es dich«, sagte ich, »wenn ich im Bademantel bleibe?«

    »Ja«, sagte er, »es stört mich. Zieh dich bitte ordentlich an. Dein Aufzug und dein - dein Kaffeegeruch verleihen der Situation eine Komik, die ihr nicht entspricht. Ich habe ernsthaft mir dir zu reden. Und außerdem - entschuldige, daß ich so offen spreche -- hasse ich, wie du wohl noch weißt, jede Erscheinungsform der Schlamperei.«
    »Es ist keine Schlamperei«, sagte ich, »nur eine Erscheinungsform der Entspannung.«
    »Ich weiß nicht«, sagte er, »wie oft du in deinem Leben mir wirklich gehorsam gewesen bist, jetzt bist du mir nicht mehr zum Gehorsam verpflichtet. Ich bitte dich nur um einen Gefallen.«
    Ich war erstaunt. Mein Vater war früher eher schüchtern gewesen, fast schweigsam. Er hat beim Fernsehen zu diskutieren und argumentieren gelernt, mit einem
    »zwingenden Charme«. Ich war zu müde, mich diesem Charme zu entziehen.

    Ich ging ins Badezimmer, zog mir die kaffeenassen Socken aus, trocknete die Füße ab, zog Hemd, Hose, Rock an, lief barfuß in die Küche, häufte mir die gewärmten weißen Bohnen auf einen Teller und schlug die weichgekochten Eier einfach über den Bohnen aus, kratzte die Eireste mit dem Löffel aus den Schalen, nahm eine Schnitte Brot, einen Löffel und ging ins Wohnzimmer. Mein Vater blickte auf meinen Teller mit einer Miene, die eine sehr gut gekonnte Mischung aus Erstaunen und Ekel darstellte.
    »Entschuldige«, sagte ich, »ich habe seit heute morgen neun Uhr nichts mehr gegessen, und ich denke, es liegt dir nichts daran, wenn ich ohnmächtig zu deinen Füßen niederfalle.« Er brachte ein gequältes Lachen zustande, schüttelte den Kopf, seufzte und sagte: »Na gut - aber weißt du, nur Eiweiß ist einfach nicht gesund.«
    »Ich werde anschließend einen Apfel essen«, sagte ich. Ich rührte die Bohnen und
    und nahm einen Löffel von meinem Brei, der mir sehr gut schmeckte.

    »Du solltest wenigstens etwas von diesem Tomatenzeug drauftun«, sagte er.

    »Ich hab keins im Hause«, sagte ich.

    Ich aß viel zu hastig, und die notwendigen Geräusche, die ich beim Essen machte, schienen meinem Vater zu mißfallen. Er unterdrückte seinen Ekel, aber nicht überzeugend, und ich stand schließlich auf, ging in die Küche, aß stehend am Eis- schrank meinen Teller leer und sah mir selbst während des Essens in dem Spiegel zu, der über dem Eisschrank hängt. Ich hatte nicht einmal das wichtigste Training in den letzten Wochen absolviert: das Gesichtstraining. Ein Clown, dessen Haupteffekt sein unbewegliches Gesicht ist, muß

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