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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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Zigeuner«, sagte ich,
    »Mutter sollte einmal welche zum Tee einladen. Direkt von der Straße. Es gibt noch Aufgaben genug.«
    »Darüber wollte ich nicht mit dir reden«, sagte er.

    Ich schwieg. Er sah mich an und sagte leise: »Ich wollte mit dir über Geld reden.« Ich schwieg weiter. »Ich nehme an, daß du in ziemlicher Verlegenheit bist. Sag doch was.«
    »Verlegenheit ist hübsch gesagt. Ich werde wahrscheinlich ein Jahr lang nicht auftreten können. Sieh hier.« Ich zog das Hosenbein hoch und zeigte ihm mein
    geschwollenes Knie, ich ließ die Hose wieder runter und zeigte mit dem Zeigefinger
    »Ja«, sagte ich, »Herz«.

    »Ich werde Drohmert anrufen und ihn bitten, dich zu empfangen. Er ist der beste Herzspezialist, den wir haben.«
    »Mißverständnis«, sagte ich, »ich brauche Drohmert nicht zu konsultieren.«

    »Du sagtest doch: Herz.«

    »Vielleicht hätte ich Seele, Gemüt, Inneres sagen sollen — mir schien Herz angebracht.«
    »Ach so«, sagte er trocken, »diese Geschichte.« Sicher hatte Sommerwild ihm beim Skat in der Herren-Union, zwischen Hasenpfeffer, Bier und einem Herz-Solo ohne drei, die »Geschichte« erzählt. Er stand auf, fing an, auf und ab zu gehen, blieb dann hinter dem Sessel stehen, stützte sich auf die Sessellehne und blickte auf mich herunter.
    »Es klingt sicher dumm«, sagte er, »wenn ich dir ein großes Wort sage, aber weißt du, was dir fehlt? Dir fehlt das, was den Mann zum Manne macht: sich abfinden können«.
    »Das habe ich heute schon einmal gehört«, sagte ich.

    »Dann hörs zum dritten Mal: finde dich ab.«

    »Laß«, sagte ich müde.

    »Was glaubst du wohl, wie mir zumute war, als Leo zu mir kam und sagte, er würde katholisch. Es war so schmerzlich für mich wie Henriettes Tod - es hätte mich nicht so geschmerzt, wenn er gesagt hätte, er würde Kommunist. Darunter kann ich mir was vorstellen, wenn ein junger Mensch einen falschen Traum träumt, von sozialer Gerechtigkeit und so weiter. Aber das.« Er klammerte sich an die Sessellehne und schüttelte heftig den Kopf. »Das. Nein. Nein.« Es schien ihm ernst zu sein. Er war ganz blaß geworden und sah viel älter aus, als er ist.
    »Setz dich, Vater«, sagte ich, »trink jetzt einen Kognak.« Er setzte sich, nickte zu
    Sache glaubt«, sagte er, »deshalb hat es mich so schrecklich getroffen, aber auch damit habe ich mich abgefunden - abgefunden. Was siehst du mich so an?«
    »Ich muß dir etwas abbitten«, sagte ich, »wenn ich dich im Fernsehen sah, habe ich gedacht, du wärst ein großartiger Schauspieler. Sogar ein bißchen Clown.«
    Er sah mich mißtrauisch an, fast gekränkt, und ich sagte rasch: »Nein wirklich, Papa, großartig.« Ich war froh, daß ich das Papa wiedergefunden hatte.
    »Sie haben mich einfach in diese Rolle gedrängt«, sagte er.

    »Sie steht dir gut«, sagte ich, »und was du daran spielst, ist gut gespielt.«

    »Ich spiele nichts daran«, sagte er ernst, »gar nichts, ich brauche nichts zu spielen.«

    »Schlimm«, sagte ich, »für deine Gegner.«

    »Ich habe keine Gegner«, sagte er empört.

    »Noch schlimmer für deine Gegner«, sagte ich.

    Er sah mich wieder mißtrauisch an, lachte dann und sagte: »Aber ich empfinde sie wirklich nicht als Gegner.«
    »Noch viel schlimmer, als ich dachte«, sagte ich, »wissen die, mit denen du da dauernd über Geld redest, gar nicht, daß ihr das Wichtigste immer verschweigt - oder habt ihrs abgesprochen, bevor ihr auf den Schirm gezaubert werdet?«
    Er goß sich Kognak ein, sah mich fragend an: »Ich habe mit dir über deine Zukunft sprechen wollen.«
    »Augenblick«, sagte ich, »mich interessiert einfach, wie das gemacht wird. Ihr redet immer von Prozenten, zehn, zwanzig, fünf, fünfzig Prozent - aber ihr sagt nie, wieviel Prozent von was ?« Er sah fast dumm aus, als er das Kognakglas hob, trank und mich ansah. »Ich meine«, sagte ich, »ich habe nicht viel Rechnen gelernt, aber ich weiß, daß hundert Prozent von einem halben Pfennig ein halber Pfennig sind, während fünf Prozent von einer Milliarde fünfzig Millionen sind ... verstehst du?«
    »Mein Gott«, sagte er, »hast du soviel Zeit, fernzusehen?«
    »Ja«, sagte ich, »seit dieser Geschichte, wie du sie nennst, seh ich viel fern - es macht mich so schön leer. Ganz leer, und wenn man seinen Vater alle drei Jahre einmal sieht, freut man sich doch, wenn man ihn mal auf dem Fernsehschirm sieht. Irgendwo in einer Kneipe, bei Bier, im Halbdunkel. Manchmal bin ich richtig stolz

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