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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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auf dich, wie geschickt du es verhinderst, daß irgendeiner nach der Prozentzahl fragt.« »Du irrst«, sagte er kühl, »ich verhindere gar nichts.« »Ist es denn nicht langweilig, gar keine Gegner zu haben?« Er stand auf und sah mich böse an. Ich stand auch auf. Wir stellten uns beide hinter unsere Sessel, legten die Arme auf die Lehne. Ich lachte und sagte:
    »Als Clown interessiere ich mich natürlich für die modernen Formen der Pantomime. Einmal, als ich allein im Hinterzimmer einer Kneipe saß, hab ich den Ton ausgeschaltet. Großartig. Das Eindringen des l'art pour l'art in die Lohnpolitik, in die Wirtschaft. Schade, daß du meine Nummer Aufsichtsratssitzung nie gesehen hast.«
    »Ich will dir was sagen«, sagte er, »ich habe mit Genneholm über dich gesprochen. Ich habe ihn gebeten, sich einige deiner Auftritte einmal anzusehen und mir eine - eine Art Gutachten zu machen.«
    Ich mußte plötzlich gähnen. Es war unhöflich, aber unvermeidlich, und ich war mir der Peinlichkeit durchaus bewußt. Ich hatte in der Nacht schlecht geschlafen und einen schlimmen Tag hinter mir. Wenn einer seinen Vater nach drei Jahren zum erstenmal wiedersieht, eigentlich zum erstenmal in seinem Leben ernsthaft mit ihm redet - ist Gähnen sicherlich das am wenigsten Angebrachte. Ich war sehr erregt, aber todmüde, und es tat mir leid, daß ich ausgerechnet jetzt gähnen mußte. Der Name Genneholm wirkte wie ein Schlafmittel auf mich. Menschen wie mein Vater müssen immer das Beste haben: den besten Herzspezialisten der Welt Drohmert, den besten Theaterkritiker der Bundesrepublik Genneholm, den besten Schneider, den besten Sekt, das beste Hotel, den besten Schriftsteller. Es ist langweilig. Mein Gäh-

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    nen wurde fast zu einem Gähnkrampf, meine Mundmuskulatur knackte. Die Tatsache, daß Genneholm schwul ist, ändert nichts an der Tatsache, daß sein Name Langeweile in mir auslöst. Schwule können sehr amüsant sein, aber gerade amüsante Leute finde ich langweilig, besonders Exzentriker, und Genneholm war nicht nur schwul, auch exzentrisch. Er kam meistens zu den Parties, die Mutter gab, und rückte einem immer ziemlich nah auf den Leib, so daß man jedesmal vollkommen überflüssigerweise seinen Atem roch und an seiner letzten Mahlzeit teilnahm. Als ich ihn zum letzten Mal traf, vor vier Jahren, hatte er nach Kartoffelsalat gerochen, und angesichts dieses Geruchs kamen mir seine kardinalsrote Weste und sein honigfarbener Mephistoschnurrbart gar nicht mehr extravagant vor. Er war sehr witzig, jedermann wußte, daß er witzig war, und so mußte er dauernd witzig sein. Eine ermüdende Existenz.
    »Entschuldige«, sagte ich, als ich sicher sein konnte, den Gähnkrampf vorläufig hinter mir zu haben. »Was sagt denn Genneholm?«
    Mein Vater war gekränkt. Das ist er immer, wenn man sich gehen läßt, und mein Gähnen schmerzte ihn nicht subjektiv, sondern objektiv. Er schüttelte den Kopf wie über meine Bohnensuppe. »Genneholm beobachtet deine Entwicklung mit großem Interesse, er ist dir sehr wohlgesinnt.«
    »Ein Schwuler gibt die Hoffnung nie auf«, sagte ich, »das ist ein zähes Volk.«

    »Laß das«, sagte mein Vater scharf, »sei froh, daß du einen so einflußreichen und fachmännischen Gönner im Hintergrund hast.«
    »Ich bin ja ganz glücklich«, sagte ich.

    »Aber er hat enorm viele Einwände gegen das, was du bisher geleistet hast. Er meint, du solltest alles Pierrotische meiden, hättest zum Harlekin zwar Begabung, wärest aber zu schade - und als Clown wärst du unmöglich. Er sieht deine Chance in einer
    konsequenten Hinwendung zur Pantomime
    ... hörst du mir überhaupt zu?« Seine Stimme wurde immer schärfer.

    »Bitte«, sagte ich, »ich höre jedes Wort, jedes einzelne dieser klugen, zutreffenden Wörter, laß dich nicht dadurch stören, daß ich die Augen geschlossen habe.« Während er Genneholm zitierte, hatte ich die Augen geschlossen. Es war so wohltuend und befreite mich vom Anblick der dunkelbraunen Kommode, die hinter Vater an der Wand stand. Ein scheußliches Möbelstück, das irgendwie nach Schule aussah: die dunkelbraune Farbe, die schwarzen Knöpfe, die hellgelbe Zierleiste an der oberen Kante. Die Kommode stammte aus Maries Elternhaus.
    »Bitte«, sagte ich leise, »sprich doch weiter.« Ich war todmüde, hatte Magenschmerzen, Kopfschmerzen, und ich stand so verkrampft da hinter dem Sessel, daß mein Knie anfing, noch mehr anzuschwellen. Hinter meinen geschlossenen Lidern sah ich mein

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