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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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Tarife für Hilfsarbeiter »eigentlich schon seit drei Jahren« höher seien als der Lohn, den er von uns bekam, hielt meine Mutter mit schriller Stimme einen zweistündigen Vortrag über die »Geldgier gewisser Leute«. Sie hatte einmal unserem Briefträger fünfundzwanzig Pfennige als Neujahrstrinkgeld gegeben und war empört gewesen, als sie am nächsten Morgen die fünfundzwanzig Pfennig in einem Briefumschlag im Postkasten fand mit einem Zettel, auf dem der
    Briefträger schrieb: »Ich bringe es nicht über mich, Sie zu be-
    rauben, gnädige Frau.« Natürlich kannte sie einen Staatssekretär im Postministerium, bei dem sie sich sofort über den »geldgierigen, impertinenten Menschen« beschwerte.

    Ich ging in der Küche rasch um die Kaffeepfütze herum, durch die Diele ins Badezimmer, zog den Stöpsel aus der Wanne, und es fiel mir ein, daß ich das erste Bad seit Jahren genommen hatte, ohne wenigstens die Lauretanische Litanei zu singen. Ich stimmte leise summend das Tantum Ergo an, während ich mit der Brause die Schaumreste von den Wänden der sich leerenden Wanne spritzte. Ich versuchte es auch mit der Lauretanischen Litanei, ich habe dieses Judenmädchen Miriam immer gern gehabt, und manchmal fast an es geglaubt. Aber auch die Lauretanische Litanei half nichts, sie war wohl doch zu katholisch, und ich war wütend auf den Katholizismus und die Katholiken. Ich nahm mir vor, Heinrich Behlen anzurufen und Karl Emonds. Mit Karl Emonds hatte ich seit dem fürchterlichen Krach, den wir vor zwei Jahren hatten, nicht mehr gesprochen - und geschrieben hatten wir uns nie. Er war gemein zu mir gewesen, aus einem ganz dummen Grund: Ich hatte seinem jüngsten Sohn, dem einjährigen Gregor, ein rohes Ei in die Milch geschlagen, als ich auf ihn aufpassen mußte, während Karl mit Sabine im Kino und Marie beim »Kreis« war. Sabine hatte mir gesagt, ich solle um zehn die Milch aufwärmen, in die Flasche tun und Gregor geben, und weil der Junge mir so blaß und mickrig vorkam (er weinte nicht einmal, sondern quengelte auf eine mitleiderregende Weise vor sich hin), dachte ich, ein rohes Ei in die Milch geschlagen könnte ihm gut tun. Ich trug ihn, während die Milch warm wurde, auf den Armen in der Küche hin und her und sprach mit ihm: »Ei, was kriegt denn unser Jüngelchen, was geben wir ihm denn - ein Eichen« und so weiter, schlug dann das Ei auf, schlug es im Mixer und tat es Gregor in die Milch. Karls andere Kinder schliefen fest, ich war ungestört mit Gregor in der Küche, und als ich ihm die Flasche gab, hatte ich den Eindruck, daß das Ei in der
    Milch ihm sehr wohltat. Er lächelte und schlief nachher sofort ein, ohne noch lange zu quengeln. Als Karl dann aus dem Kino kam, sah er die Eierschalen in der Küche, kam ins Wohnzimmer, wo ich mit Sabine saß, und sagte: »Das war vernünftig von dir, dir ein Ei zu machen.« Ich sagte, ich hätte das Ei nicht selber gegessen, sondern Gregor gegeben - und sofort brach ein wilder Sturm, ein Geschimpfe los. Sabine wurde regelrecht hysterisch und nannte mich »Mörder«, Karl schrie mich an: »Du Vagabund
Du Hurenbock«, und das machte mich so wild, daß ich ihn »verkrampfter Pauker« nannte, meinen Mantel nahm und in Zorn davonlief. Er rief mir noch in den Flur hinunter nach: »Du verantwortungsloser Lump«, und ich schrie in den Flur hinauf:
    »Du hysterischer Spießer, du elender Steißtrommler.« Ich habe Kinder wirklich gern, kann auch ganz gut mit ihnen umgehen, besonders mit Säuglingen, ich kann mir nicht denken, daß ein Ei einem einjährigen Kind schadet, aber daß Karl mich ›Hu- renbock ‹ genannt hatte, kränkte mich mehr als Sabines ›Mörder‹. Schließlich kann man einer erregten Mutter einiges zubilligen und verzeihen, aber Karl wußte genau, daß ich kein Hurenbock war. Unser Verhältnis war auf eine idiotische Weise gespannt, weil er meine »freie Lebensweise« im Grunde seines Herzens »großartig« fand und mich seine spießige im Grunde meines Herzens anzog. Ich konnte ihm nie klar machen, aufweiche fast tödliche Weise regelmäßig mein Leben war, wie pedantisch es ablief mit Bahnfahrt, Hotel, Training, Auftritt, Mensch-ärgere-dich-nicht-spielen und Biertrinken - und wie mich das Leben, das er führte, gerade wegen seiner Spießigkeit anzog. Und er dachte natürlich, wie alle, daß wir absichtlich keine Kinder bekämen, Maries Fehlgeburten waren ihm »verdächtig«; er wußte nicht, wie gern wir Kinder gehabt hätten. Ich hatte trotz allem

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