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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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nicht haben, aber ich flehte ihn an, den Scheck zu nehmen. Ich glaube, ich weinte fast, als ich ihn bat, den Scheck doch zu nehmen. Er nahm ihn, ein
    bißchen gekränkt, und ich lud ihn
    ein, uns doch einmal zu besuchen und mir beim Training zuzusehen. Er brachte mich noch bis zur Straßenbahnhaltestelle an der Kalker Post, aber als ich drüben auf dem Platz ein freies Taxi stehen sah, rannte ich hinüber, setzte mich rein und sah nur noch Edgars verdutztes, gekränktes, bleiches, großes Gesicht. Es war das erste Mal, daß ich mir ein Taxi leistete, und wenn je ein Mensch ein Taxi verdient hat, dann war ich es an diesem Abend. Ich hätte es nicht ertragen, mit der Straßenbahn quer durch Köln zu bummeln und noch eine Stunde auf das Wiedersehen mit Marie zu warten. Das Taxi kostete fast acht Mark. Ich gab dem Fahrer noch fünfzig Pfennig Trinkgeld und rannte in unserer Pension die Treppe hinauf. Marie fiel mir weinend um den Hals, und ich weinte auch. Wir hatten beide soviel Angst ausgestanden, waren eine Ewigkeit lang voneinander getrennt gewesen, wir waren zu verzweifelt, uns zu küssen, flüsterten nur immer wieder, daß wir uns nie, nie, nie mehr trennen würden,
    »bis daß der Tod uns scheidet«, flüsterte Marie. Dann machte Marie »sich fertig«, wie sie es nannte, schminkte sich, malte sich die Lippen, und wir gingen zu einer der Buden auf der Venloer Straße, aßen jeder zwei Portionen Gulasch, kauften uns eine Flasche Rotwein und gingen nach Hause.
    Edgar hat mir diese Taxifahrt nie ganz verziehen. Wir sahen ihn danach öfter, und er half uns sogar noch einmal mit Geld, als Marie die Fehlgeburt hatte. Er sprach auch nie über die Taxifahrt, aber es blieb bei ihm ein Mißtrauen zurück, das bis heute nicht getilgt ist.

    »Mein Gott«, sagte mein Vater laut und in einer neuen Tonlage, die mir ganz fremd an ihm war, »sprich doch laut und deutlich und mach die Augen auf. Auf den Trick fall ich nicht mehr rein.«
    Ich machte die Augen auf und sah ihn an. Er war böse.

    »Rede ich etwa?« fragte ich.

    »Ja«, sagte er, »du murmelst vor dich hin, aber das einzige Wort, das ich verstehe, ist
    »Das ist auch das einzige, das du verstehen kannst und verstehen sollst.«

    »Und Verrechnungsscheck habe ich verstanden«, sagte er.

    »Ja, ja«, sagte ich, »komm, setz dich wieder hin und sag mir, was du dir gedacht hast — als monatliche Unterstützung für ein Jahr.«
    Ich ging zu ihm rüber, packte ihn sanft an den Schultern und drückte ihn in seinen Sessel. Er stand sofort wieder auf, und wir standen uns ganz nah gegenüber.
    »Ich habe mir die Sache hin und her überlegt«, sagte er leise, »wenn du meine Bedingung der soliden, kontrollierten Ausbildung nicht wahrnehmen, sondern hier arbeiten willst . . . müßten eigentlich - na, ich dachte, zweihundert Mark im Monat reichen.« Ich war sicher, daß er zweihundertfünfzig oder dreihundert hatte sagen wollen, im letzten Augenblick aber zweihundert gesagt hatte. Er schien doch über meinen Gesichtsausdruck erschrocken zu sein, er sagte rascher als zu seiner gepflegten Erscheinung paßte: »Genneholm sprach davon, daß Askese die Grundlage der Pantomime sei.« Ich sagte immer noch nichts. Ich sah ihn nur an, mit »leeren Au- gen«, wie eine Kleistsche Marionette. Ich war nicht einmal wütend, nur auf eine Weise erstaunt, die das, was ich mühsam gelernt hatte: leere Augen zu haben, zu meinem natürlichen Ausdruck machte. Er wurde nervös, hatte leichte Schweißspuren auf der Oberlippe. Meine erste Regung war immer noch nicht Wut oder Verbitterung oder gar Haß; meine leeren Augen füllten sich langsam mit Mitleid.
    »Lieber Papa«, sagte ich leise, »zweihundert Mark sind gar nicht so wenig, wie du zu glauben scheinst. Das ist eine ganz hübsche Summe, ich will nicht mit dir darüber streiten, aber weißt du wenigstens, daß Askese ein teures Vergnügen ist, jedenfalls die Askese, an die Genneholm denkt; er meint nämlich Diät und nicht Askese, viel mageres Fleisch und Salate - die billigste Form der Askese ist der Hunger, aber ein hungriger Clown — nun, ist immer noch besser als ein betrunkener.« Ich trat zurück, es
    war mir peinlich, so nahe bei ihm
    zu stehen, daß ich beobachten konnte, wie die Schweißperlen auf seinen Lippen dicker wurden.
    »Hör mal«, sagte ich, »reden wir, wie es sich für Gentlemen ziemt, nicht mehr über Geld, sondern über etwas anderes.«
    »Aber ich will dir wirklich helfen«, sagte er verzweifelt, »ich will dir gern

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