Apocalypsis 3 (DEU): Collector's Pack. Thriller (German Edition)
Hitze, Dunst und jener besonderen Jerusalemer Schwere, auf der seit Jahrhunderten der Hass gedieh. Die Händler in der Altstadt räumten ihre Stände zusammen und setzten sich zu Tee und Domino zusammen. Orthodoxe Väter in Kaftanen brachten Kinder und Einkäufe nach Hause, die schwerbewaffneten jungen Soldaten, die den ganzen Tag durch die Altstadt patrouilliert waren, scherzten mit jüdischen Studentinnen aus den USA, selbst die allgegenwärtigen Sicherheitskameras wirkten etwas gebeugter und unaufmerksamer. Auf der anderen Seite der Altstadtmauer füllten sich die Straßencafés auf der Yafo mit erschöpften Pilgern, gereizten Angestellten, katholischen Seminaristen, muslimischen Studentinnen und jungen Orthodoxen, die das Gift der Stadt noch kurz bei einem Getränk ausatmen wollten, bevor sie nach Hause oder in ihre Hostels und Pilgerherbergen zurückkehrten.
Seit Maria drei Wochen zuvor in Jerusalem angekommen war, genoss sie diese Stunden des Tages am meisten. Wenn die Altstadt sich leerte, wenn alles still wurde, wenn der Meleke , der helle »königliche« Kalkstein, aus dem sämtliche Gebäude der Stadt seit über zweitausend Jahren erbaut wurden, noch einmal golden in der Abendsonne aufflammte und sich für einen Moment die Illusion von Frieden über die Stadt senkte. Der abendliche Spaziergang durch die Altstadt war daher zu einem festen Ritual geworden und begann mit einem Rosenkranz in einem stillen Winkel der Grabeskirche. Gebet für Gebet glitt der Rosenkranz durch ihre Hände, vorbei an dem kaum verheilten Stumpf, wo einmal ihr kleiner linker Finger gewesen war.
Wie jeden Abend beendete sie ihr Gebet, indem sie Gott anflehte, er möge ihr Peter zurückbringen. Seit Peters spurlosem Verschwinden im Himalaja trug Maria wieder das graue Ordenshabit einer Clemensschwester. Obwohl sie sowohl im arabischen als auch im jüdischen Viertel deswegen bereits mehrfach angepöbelt und bespuckt worden war, verlieh ihr das Habit Gelassenheit und Schutz. Vor ihrer Abreise hatte sie sich von ihrer Äbtissin in Rom die Erlaubnis erbeten, sie für unbestimmte Zeit vom Leben in der klösterlichen Gemeinschaft freizustellen, da sie an anderer Stelle gebraucht würde. Eine mehr als ungewöhnliche Bitte, die wie ein Vorspiel zum Austritt aus dem Orden wirken musste. Die Äbtissin hatte dennoch eingewilligt. Maria vermutete, dass ihr Vater und gewisse Verbindungen des Ordens vom Heiligen Schwert die nötige Überzeugungsarbeit geleistet hatten. Dabei hatte Maria keine Absicht mehr, aus dem Orden auszutreten. Selbst wenn Peter noch leben und irgendwann, so Gott wollte, wieder auftauchen würde – ihr Entschluss stand fest. Der Orden war das Band zwischen ihr und ihrem Glauben. Die Ereignisse der letzten Wochen hatten dieses Band fast zerrissen. Soweit wollte sie es nicht wieder kommen lassen, selbst wenn sie Peter dadurch verlieren würde.
Ohne Eile schlenderte Maria durch das arabische Viertel. Als sie an der Klagemauer vorbeikam, hielt sie kurz inne und sprach ein Gebet für Marina, deren verstümmelte Leiche man vor wenigen Tagen auf dem Vorplatz der Klagemauer gefunden hatte. Während sie betete, tastete sie in der Tasche ihres Habits nach dem Amulett mit dem doppelten Achteck, das sie von Marina in der Grube auf Oak Island im Tausch gegen das Amulett mit dem Kupfersymbol erhalten hatte. In gedrückter Stimmung ging sie weiter durch das jüdische Viertel und kehrte durch das armenische Viertel zurück zum Zionstor, ging dann wieder hinauf auf den Zionsberg. In direkter Nähe zum Grab von König David erhob sich dort am Ort des letzten Abendmahls und der Stelle, wo der Legende nach die Mutter Gottes entschlafen sein soll, die Dormitio-Abtei. Seit einer Woche lebte Maria hier zurückgezogen im angrenzenden Seminartrakt, wo katholische und evangelische Theologiestipendiaten ein einjähriges Bibelstudium absolvierten. Ihre Tage verbrachte Maria jedoch nicht mit Bibelstudien, sondern meist in Nakashimas Lagezentrum in der King George Street mit der Suche nach Shimon Kohn, die letzte der neun Personen von der Liste, die noch lebte.
Nach dem Plan der Mh’u in der Grube auf Oak Island hätte Marina ihr Amulett an Shimon Kohn übergeben sollen. Was danach geschehen sollte, wusste Maria nicht. Vielleicht war dieser Shimon Kohn im Besitz dessen, was sich einst in der alten Zedernholztruhe befunden hatte. Soweit Maria verstanden hatte, handelte es sich dabei um ein tödliches Virus, das alles Leben auf Erden ausrotten konnte.
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