Argus #5
darauf aufmerksam. Wir finden ihn.»
«Vielleicht ist er ja tot», sagte sie knapp.
«Was?»
C. J. rührte in ihrer Müslischüssel. «Ich meine ja nur. Es wäre eine Möglichkeit. Denk an die Typen, die aus Alcatraz geflüchtet sind und nie gefunden wurden. Das FBI hat jahrzehntelang nach ihnen gesucht und jede Menge Gerüchte in die Welt gesetzt, dass sie im Untergrund leben, mit neuer Identität, und dabei hört man bei jeder Gefängnisführung, dass sie höchstwahrscheinlich alle ertrunken sind und von der Strömung aufs Meer hinausgetrieben wurden.»
«Wenn das so ist, müssen wir seine Leiche finden. Damit du endlich in Frieden leben kannst. Und ich auch. Nichts würde mir mehr Freude machen, als wenn sie den Kerl endlich einsargen.»
Sie stand auf und kippte den Rest ihres Frühstücks in den Müll. Ihr war der Appetit vergangen. «Ich will mein Leben zurück», sagte sie leise. «Ich will wieder ich sein.»
Ich. Im Grunde wusste sie gar nicht, wer das war. Eine Frau, die vorsätzlich Gewalttaten verübte, die sie als Staatsanwältin strikt verurteilt hätte. Taten, für die sie bei Geschworenen und Richtern Todesurteile erwirkt hatte. Wer war diese Person? Und warum hatte sie keine Gewissensbisse wegen dem, was sie dort im Wald getan hatte? Warum zerfraß es sie nicht von innen heraus? Wie schaffte sie es, abends die Augen zu schließen und zum ersten Mal seit Jahren ganze Nächte durchzuschlafen, ohne einen einzigen Albtraum? Was für ein Ungeheuer konnte tun, was sie getan hatte, ohne Reue zu empfinden? Am Ende war es ganz leicht gewesen. Das erschreckte sie an dieser neuen C. J. am allermeisten. Dass es so leicht gewesen war.
Dominick stellte sich hinter sie an die Spüle und streichelte ihre Schultern. «Verflixt, C. J., warum mache ich mir nur immer solche Sorgen um dich?» Seine Stimme klang gepresst – ob vor Wut, Trauer oder Frustration, war schwer zu sagen. Als sie schwieg, sagte er: «Ich muss mich fertig machen.» Und er verschwand im Bad.
Sie griff in die Tasche ihres Bademantels und tastete nach dem kleinen, zusammengefalteten Stück Papier. Dann zog sie es heraus und faltete es auf.
Erstaunlich, wie schnell der große, böse Bill Bantling zusammengebrochen war. Sie hatte gedacht, dass es eher so sein würde wie im Film, wo der Böse dem Verhör unter Einsatz von Gartengeräten unerschütterlich standhielt. Wie einer der harten Typen aus den Sopranos . Sie hatte gedacht, sie müsste richtig unangenehm werden. Aber nein. Der große, böse Bill war ein Schwein, wenn er ein Messer in der Hand hielt und eine Frau gefesselt und hilflos vor ihm lag, aber wenn das Blatt sich wendete und die Karten anders verteilt waren, heulte er wie ein Kleinkind.
Und winselte. Und flehte.
Und redete.
C. J. las die dreizehn Namen auf dem Blatt. Eine Unglückszahl, allerdings. Sie kannte keinen davon. Noch nicht. Aber sie wusste, was zu tun war.
«In Miami sind zu viele Rechnungen offengeblieben, Dominick», sagte sie leise, mehr zu sich selbst als zu ihm. «Und die muss ich jetzt begleichen …»
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Über Jilliane Hoffman
Jilliane Hoffman war Staatsanwältin in Florida und unterrichtete jahrelang im Auftrag des Bundesstaates die Spezialeinheiten der Polizei – von Drogenfahndern bis zur Abteilung für Organisiertes Verbrechen – in allen juristischen Belangen. Mit ihren Romanen «Cupido», «Morpheus», «Vater unser» und «Mädchenfänger» hat sie sich einen festen Platz an der Spitze der internationalen Bestsellerlisten gesichert.
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Über dieses Buch
«No risk, no fun», denkt Gabriella und ignoriert ihre innere Stimme, die sie davor warnt, den gutaussehenden Reid in seine Kellerwohnung zu begleiten. Sie kennt ihn erst seit ein paar Stunden. Zu spät sieht sie die Kamera, zu spät bemerkt sie, dass sie nicht allein sind: Augen beobachten sie. Viele Augen. Böse Augen…
Einige Jahre später: Eine Serie von bestialischen Frauenmorden erschüttert Miami. Ein Kreis einflussreicher Männer soll dahinterstecken. Nur einer kennt die Namen der Mitglieder des tödlichen Clubs: William Bantling, der vor zehn Jahren für die Cupido-Morde verurteilt wurde und noch immer im Todestrakt des Florida State Prison sitzt. Er ist bereit, mit Staatsanwältin Daria zu reden. Aber ist sie bereit, seinen Preis zu bezahlen?
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Impressum
Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel «The Cutting Room» bei HarperCollins, UK
Rowohlt
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