Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
irgendwie mit einem hehren »großen Deal« entgegenkommen. Er konzedierte, dass Kürzungen beim öffentlichen Rentensystem
Social Security
und bei
Medicare,
der öffentlichen Krankenversicherung für ältere und behinderte Bürger – zwei der stolzesten Errungenschaften der Demokratischen Partei –, wohl unumgänglich seien, und gab seinen Segen dazu, dass die Republikaner die Wirtschaftspolitik des krisengeschüttelten Landes in Richtung Sparkurs lenkten.
Wenn ich die Washingtoner Demokraten bei ihrem Tun beobachte, fühle ich mich manchmal an den auf tragische Weise inkompetenten britischen Generalstab im Ersten Weltkrieg erinnert, der einen Großangriff nach dem anderen befahl, nur um zusehen zu müssen, wie seine Armeen eine nach der anderen aufgerieben wurden. Dennoch machten die Generäle weiter, befahlen noch einmal genau das Gleiche, hielten sich ritterlich ans Kriegsreglement, unternahmen nie etwas auch nur ansatzweise Kluges und waren jedes Mal wieder bass erstaunt, wenn die Gegenseite sie auf brutale Weise mit der Kriegsführung des 20. Jahrhunderts bekannt machte.
Die gleiche Blindheit und das gleiche starre Denken lassen sich bei den Washingtoner Demokraten und ihren Strategien beobachten. Keiner von ihnen scheint sich gefragt zu haben, ob man Bailouts nicht auch anders ins Werk setzen könnte, keiner vorhergesehen zu haben, dass sich die Republikaner bei der Frage der Schuldenobergrenze eventuell nicht an die Spielregeln halten würden. Sie versuchen es mit den Mitteln, mit denen es auch schon Clinton versucht hat, und sind baff, wenn es nicht klappt. Auf zum nächsten Versuch … Die Washingtoner Demokraten werden ebensowenig anerkennen, dass es andere Taktiken überhaupt geben könnte, wie sie
en masse
von Georgetown in irgendein heruntergekommenes Viertel von Baltimore ziehen werden. Lieber verhöhnen sie ihre liberalen Kritiker als naive Träumer oder, mit dem Wort Rahm Emanuels, als »Schwachköpfe« – und versuchen ein weiteres Mal, was bei Clinton noch geklappt hat. Dass ihre Hochachtung vor Expertenwissen konservativen Attacken auf die »Eliten« eine offene Flanke bot, ist ihnen nie in den Sinn gekommen. Und so liefen all die harten Burschen des Chicagoer Präsidententeams blind und unbekümmert in die populistische Kettensäge – und das nicht nur einmal.
Es fällt nicht schwer, sich Mittel und Wege zu überlegen, mit denen Obama und Co. den neuen Rechten Einhalt hätten gebieten können – vorausgesetzt, sie hätten es überhaupt gewollt. Um mit dem Offensichtlichsten zu beginnen: Obama und Co. hätten sich selbst andie Spitze der öffentlichen Wut gegen die Wall Street setzen können, statt sich zur Verkörperung jener Vetternwirtschaft zu machen, die von der Öffentlichkeit verachtet wird. Sie hätten die Empörung der mittelständischen Wirtschaft aufnehmen können, indem sie versprochen hätten, die Großbanken zu zerschlagen oder das Kartellrecht wieder stärker durchzusetzen. Eine weitere Taktik hätte auf der allgemein bekannten Tatsache aufbauen können, dass die Tea Party schwere Vorbehalte gegen das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA hegt und dass sie damit alles andere als allein ist. Weshalb also nicht verkünden, dass es an der Zeit sei, die desaströsen Freihandelsabkommen der USA auf den Prüfstand zu stellen? Und noch ein Vorschlag: Wie jedermann weiß, hat die neue Rechte enormen Erfolg damit gehabt, die Furcht zu verbreiten, liberale Wirtschaftsmaßnahmen würden automatisch die Grundrechte einschränken. Wieso dieser bescheuerten Idee nicht den Boden entziehen, statt sie weiter vor sich hin schwären zu lassen? Schluss mit den Lauschangriffen der Regierung Bush. Verlangen wir die Neuregulierung der Wall Street
und
die Aufhebung des Patriot Act.
Ein Grund, weshalb die Demokraten nichts davon taten, ist vielleicht der, dass es einfacher ist, sich auf den Aberwitz der neuen Rechten zu konzentrieren als auf die wesentlichen Ursprünge ihrer Ideen. Die Anführer der Tea Party sind eine so bunte Truppe und die Protestplakate der Bewegung so verschroben, dass es verlockender erscheint, sich über sie lustig zu machen, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Daher greift man gern die rassistischen Momente aus der Geschichte der Tea Party heraus und kommentiert sie pausenlos, [∗] wohingegen man das viel bedeutsamere Eintreten der Bewegung für die freie Marktwirtschaft entweder als Verschleierung ihrer
wahren
Agenda interpretiert – irgendeine Form von
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