Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
Vom Netzwerk:
gegen das Morphium quält und schwächt mich bloß.
    (An dieser Stelle sind im Heft zwei Dutzend Seiten herausgeschnitten.)
    … wieder Erbrechen um 4.30 Uhr.
    Wenn mir besser ist, schreibe ich meine entsetzlichen Eindrücke auf.
    14. November 1917
    Also, nach meiner Flucht aus der Moskauer Heilanstalt des Doktors … (Name sorgfältig gestrichen) bin ich wieder zu Hause. Wie ein Schleier verhüllt der strömende Regen die Welt. Mag er. Ich brauche sie nicht, ebensowenig wie mich jemand auf der Welt braucht. Die Schießerei und den Umsturz habe ich in der Heilanstalt miterlebt. Aber der Gedanke, die Kur hinzuschmeißen, war schon vor den Moskauer Straßenkämpfen heimlich in mir gereift. Ich bin dem Morphium dankbar, daß es mich mutig gemacht hat. Keine Schießerei jagt mir Angst ein. Was kann überhaupt einen Menschen ängstigen, der nur an eines denkt
    – an die wundersamen göttlichen Kristalle? Als die Pflegerin, ganz kopfscheu von dem Kanonendonner … (Hier fehlt eine Seite.) … diese Seite herausgerissen, damit niemand je die schmachvolle Schilderung liest, wie ein Mensch mit Diplom diebisch und feige flieht und seinen eigenen Anzug stiehlt.
    Aber was ist schon der Anzug! Ich habe ein Krankenhaushemd mitgenommen. Es war mir egal. Am nächsten Tag, nachdem ich mir eine Injektion gemacht hatte, wurde ich wieder rege und kehrte zu Doktor N. zurück.
    Er empfing mich mitleidig, aber durch das Mitleid schimmerte Verachtung. Das hätte er sich sparen können. Schließlich ist er Psychiater und sollte wissen, daß ich nicht immer Herr meiner selbst bin. Ich bin krank. Wozu mich verachten? Ich gab das Krankenhaushemd zurück.

    »Danke«, sagte er und fügte hinzu: »Was gedenken Sie jetzt zu tun?«
    Ich sagte forsch, denn ich war im Zustand der Euphorie:
    »Ich habe beschlossen, in meine Einöde zurückzukehren, zumal mein Urlaub zu Ende ist. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe, ich fühle mich bedeutend besser. Ich werde die Kur zu Hause fortsetzen.«
    Er antwortete:
    »Sie fühlen sich nicht im geringsten besser. Lächerlich, daß Sie mir so etwas sagen. Dabei genügt ein Blick auf Ihre Pupillen. Wem erzählen Sie so etwas?«
    »Professor, ich kann es mir nicht auf einmal abgewöhnen, besonders jetzt bei all diesen Ereignissen. Die Schießerei hat mich ganz zermürbt.«
    »Sie ist vorbei. Wir haben eine neue Macht. Legen Sie sich wieder hin.«
    Da fiel mir alles wieder ein – die kalten Korridore … die mit Ölfarbe angestrichenen kahlen Wände … ich krieche wie ein Hund mit gebrochenem Bein … warte … Worauf? Auf ein heißes Bad? Auf eine Injektion von 0,005 Morphium. Eine Dosis, von der wirklich keiner stirbt … bloß … aber die ganze Schwermut bleibt, lastet auf mir wie zuvor … Die leeren Nächte, das Hemd, das ich mir am Leibe zerriß unter flehentlichen Bitten, mich hinauszulassen.
    Nein … nein … Das Morphium wurde erfunden, wurde aus den trocken rasselnden Kapseln der göttlichen Pflanze gewonnen, nun finden Sie eine Methode, die Sucht ohne Qual zu kurieren! Eigensinnig schüttelte ich den Kopf. Da erhob er sich, und ich stürzte erschrocken zur Tür. Ich glaubte, er wolle sie verschließen und mich gewaltsam in der Klinik festhalten.
    Der Professor lief rot an.
    »Ich bin kein Kerkerknecht«, stieß er gereizt hervor, »und wir sind hier nicht im Butyrki-Gefängnis. Bleiben Sie sitzen. Sie haben geprahlt, Sie wären ganz normal, das ist zwei Wochen her. Dabei …«Ausdrucksvoll ahmte er meine Schreckensgeste nach. »Ich halte Sie nicht.«

    »Professor, geben Sie mir meine Unterschrift zurück. Ich flehe Sie an.« Meine Stimme zitterte kläglich.
    »Bitte sehr.«
    Klickend drehte er den Schlüssel der Schreibtischschublade herum und gab mir den Revers, in dem ich mich unterschriftlich verpflichtet hatte, die zweimonatige Kur durchzustehen und mich in der Klinik festhalten zu lassen usw., kurzum, das übliche.
    Mit zitternder Hand nahm ich das Papier entgegen, steckte es ein und stammelte:
    »Ich danke Ihnen.«
    Dann stand ich auf, um zu gehen.
    »Doktor Poljakow!« rief er mir nach. Ich drehte mich um, die Türklinke in der Hand. »Hören Sie zu«, sprach er, »besinnen Sie sich. Begreifen Sie doch, Sie landen sowieso in einer psychiatrischen Klinik, vielleicht ein bißchen später, aber dann in viel schlimmerem Zustand. Ich habe Sie trotz allem noch als Arzt angesehen. Später aber kommen Sie im Zustand völliger seelischer Zerrüttung. Sie dürften eigentlich gar nicht

Weitere Kostenlose Bücher