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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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nistete auf dem Grund der Augen eine seltsame Trübheit, und ich begriff, daß dies Angst war, denn das Kind bekam keine Luft. In einer Stunde ist es tot, dachte ich überzeugt, und mein Herz krampfte sich schmerzlich zusammen.
    Jeder Atemzug zog Grübchen in den Hals des Mädchens, die Adern schwollen, die Gesichtsfarbe wechselte von Rosa zu leichtem Lila. Diese Färbung sagte mir genug. Ich wußte sogleich, was los war, und stellte meine erste Diagnose völlig richtig und vor allem im selben Moment wie die erfahrenen Hebammen: »Das Mädchen hat Diphtherie, der Hals ist schon von den Membranen verengt und wird bald ganz zu sein.«
    »Seit wieviel Tagen ist das Mädchen krank?« fragte ich unter dem gespannten Schweigen meines Personals.
    »Seit fünf Tagen, seit fünf Tagen«, sagte die Mutter und sah mich mit trockenen Augen groß an.
    »Diphtherie«, sagte ich dem Feldscher durch die Zähne, dann wandte ich mich an die Mutter:
    »Was hast du dir dabei gedacht? Was hast du dir bloß gedacht?« Währenddessen ertönte hinter mir eine weinerliche Stimme:
    »Seit fünf Tagen, Väterchen!«
    Ich drehte mich um und erblickte eine leise, rundgesichtige, in ein Tuch gewickelte Oma. Wie schön, wenn solche Omas nicht auf der Welt wären, dachte ich in einer trüben Vorahnung von Gefahr und sagte: »Sei still, Oma, du störst.« Dann wiederholte ich zur Mutter: »Was hast du dir dabei gedacht? Fünf Tage schon? Na?«
    Auf einmal reichte die Mutter mit einer mechanischen Bewegung das Mädchen der Oma und kniete vor mir nieder.
    »Gib ihr Tropfen«, sagte sie und stieß mit der Stirn auf den Fußboden, »wenn sie stirbt, hänge ich mich auf.«
    »Komm sofort hoch«, antwortete ich, »sonst rede ich überhaupt nicht mehr mit dir.«
    Die Mutter erhob sich flink, wobei ihr weiter Rock raschelte, nahm der Oma das Kind ab und wiegte es. Die
Oma betete am Türrahmen. Des Mädchens Atem zischte wie eine Schlange. Der Feldscher sagte:
    »So machen sie’s alle. Dieses Volk.« Dabei zog sich sein Schnurrbart zur Seite.
    »Was ist, muß sie sterben?« fragte die Mutter und sah mich, wie mir schien, mit finsterer Wut an.
    »Ja«, sagte ich halblaut und fest.
    Sogleich hob die Oma den Rocksaum und wischte sich damit die Augen. Die Mutter aber schrie mich böse an:
    »Hilf ihr! Gib ihr Tropfen!«
    Ich sah klar, was mich erwartete, und blieb fest. »Was für Tropfen soll ich ihr geben? Sag mir das mal. Das Mädchen erstickt, der Hals ist schon zu. Fünf Tage lang hast du sie gequält, dabei sind es bloß fünfzehn Werst bis zu mir. Was soll ich jetzt machen?«
    »Das weißt du besser, Väterchen«, jammerte die Oma links von mir gekünstelt, und ich empfand sogleich Haß auf sie.
    »Sei still!« sagte ich zu ihr. Dann wandte ich mich an den Feldscher und befahl ihm, das Mädchen zu nehmen. Die Mutter reichte es der Hebamme, es begann zu strampeln und wollte sichtlich schreien, doch die Stimme drang nicht mehr durch. Die Mutter wollte es beschützen, doch wir schoben sie beiseite, und es gelang mir, dem Mädchen beim Licht der Operationslampe in den Hals zu blicken. Noch nie hatte ich Diphtherie gesehen, außer leichten und bald vergessenen Fällen. Ich erblickte im Hals etwas Weißes, Gluckerndes, Zerrissenes. Plötzlich warf das Mädchen Spucke aus, mir ins Gesicht, doch ich erschrak nicht, denn mich beschäftigte ein Gedanke.
    »Hört zu«, sagte ich und wunderte mich über meine Ruhe, »es steht folgendermaßen: Es ist zu spät. Das Mädchen stirbt. Nichts kann ihr helfen außer einer Operation.«
    Es entsetzte mich, dies gesagt zu haben, doch ich mußte es sagen. Und wenn die zustimmen? durchfuhr es mich.
    »Wie denn?« fragte die Mutter.

    »Ich muß hier unten die Kehle aufschneiden und ein Silberröhrchen einsetzen, damit die Kleine wieder atmen kann, dann kommt sie vielleicht durch«, erklärte ich.
    Die Mutter sah mich an wie einen Irren, schützend hielt sie die Hände über das Mädchen, und die Oma brabbelte los:
    »Was sagst du da? Laß es nicht zu! Was? Den Hals aufschneiden?«
    »Raus, Oma!« sagte ich haßerfüllt zu ihr. »Kampfer!« befahl ich dem Feldscher. Die Mutter hielt das Mädchen fest, als sie die Spritze sah, doch wir erklärten ihr, dabei sei nichts Schlimmes.
    »Vielleicht hilft es ihr?« fragte sie.
    »Es hilft ihr überhaupt nicht.«
    Da brach die Mutter in Schluchzen aus.
    »Hör auf«, sagte ich, zog die Uhr und fügte hinzu: »Ihr habt fünf Minuten Zeit zum Überlegen. Wenn ihr dann nicht zustimmt, mache

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