Arztgeschichten
lag sie sauber und gänzlich unbegreiflich vor mir. Die Luftröhre war nicht zu sehen. Mein Schnitt hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Zeichnungen. Weitere zwei oder drei
Minuten vergingen, während ich völlig mechanisch und sinnlos bald mit dem Messer, bald mit der Sonde in der Wunde stocherte, um die Luftröhre zu finden. Schließlich gab ich auf. Aus, dachte ich, wozu habe ich das getan? Ich hätte doch gar keine Operation vorzuschlagen brauchen, dann wäre Lidka ruhig im Krankenzimmer gestorben. Jetzt stirbt sie mit aufgerissener Kehle, und ich kann niemals und durch nichts beweisen, daß sie sowieso gestorben wäre und ich ihr gar keinen Schaden mehr tun konnte. Die Hebamme wischte mir schweigend die Stirn. Gleich lege ich das Messer hin und sage: Ich weiß nicht weiter. Dies ging mir durch den Kopf, und ich sah die Augen der Mutter vor mir. Wieder hob ich das Messer und zog einen tiefen und scharfen Schnitt. Die Gewebe traten auseinander, und plötzlich lag die Luftröhre vor mir.
»Haken!« warf ich heiser hin.
Der Feldscher reichte sie mir zu. Einen Haken schob ich von der einen Seite hinein, den zweiten von der andern Seite, dann reichte ich ihm den einen. Jetzt sah ich nur noch eines: die hellgrauen Knorpelspangen der Luftröhre. Ich setzte das scharfe Messer auf die Luftröhre – und erstarrte. Die Röhre hob sich aus der Wunde, und mir schoß durch den Kopf, der Feldscher müsse den Verstand verloren haben, daß er sie plötzlich herausriß. Die beiden Hebammen hinter mir stöhnten. Ich blickte auf und begriff: Dem Feldscher war von der Stickluft schlecht geworden, er fiel in Ohnmacht, ohne den Haken loszulassen, und zerrte dadurch die Luftröhre heraus. Gegen mich hat sich aber auch alles verschworen, dachte ich, jetzt haben wir Lidka zweifellos zu Tode geschnitten. Und streng dachte ich weiter: Gleich geh ich nach Hause und erschieße mich. Da warf sich die ältere Hebamme, die offenbar große Erfahrung hatte, raubtierartig auf den Feldscher und nahm ihm den Haken ab, dann stieß sie durch die Zähne:
»Machen Sie weiter, Doktor.«
Der Feldscher polterte zu Boden, doch wir achteten nicht auf ihn. Ich schnitt die Luftröhre auf und setzte das
Silberröhrchen ein. Leicht glitt es hinein, doch Lidka blieb reglos. Sie bekam noch keine Luft, wie es hätte sein müssen. Mit einem tiefen Seufzer hielt ich inne: Mehr konnte ich nicht tun. Ich wollte jemanden um Verzeihung bitten, wollte bereuen, so leichtsinnig gewesen zu sein und die medizinische Fakultät besucht zu haben. Schweigen herrschte. Ich sah Lidka blau anlaufen. Schon wollte ich alles hinschmeißen und in Tränen ausbrechen, als Lidka plötzlich heftig zuckte und durch das Röhrchen Schleim auswarf, dann drang die Luft pfeifend in den Hals, das Mädchen begann zu atmen und weinte los. In diesem Moment rappelte sich der Feldscher auf, bleich und verschwitzt, blickte stumpfsinnig und voller Entsetzen auf die Kehle und half mir beim Vernähen.
Durch meine Müdigkeit und den Schweiß, der mir in die Augen lief, sah ich die glücklichen Gesichter der Hebammen wie durch einen Schleier, und eine von ihnen sagte zu mir:
»Die Operation haben Sie großartig gemacht, Doktor.«
Ich dachte, sie mache sich über mich lustig, und warfihr unter gesenkten Brauen einen finsteren Blick zu. Dann wurde die Tür geöffnet. Frische wehte herein. Lidka wurde im Laken hinausgetragen, und sogleich erschien die Mutter. Sie machte Augen wie ein wildes Tier und fragte mich:
»Was ist?«
Als ich ihre Stimme hörte, rann mir Schweiß den Rücken hinunter, und erst jetzt wurde mir klar, was gewesen wäre, wenn Lidka auf dem Tisch den Tod gefunden hätte. Aber ich antwortete ihr mit sehr ruhiger Stimme.
»Beruhige dich. Sie lebt. Ich hoffe, sie kommt durch. Nur wird sie kein Wort sprechen, bis wir das Röhrchen herausgenommen haben, also hab keine Angst.«
Da war auch, wie aus der Erde gewachsen, die Oma zur Stelle, sie bekreuzigte die Türklinke, mich, die Zimmerdecke. Aber ich war ihr nicht mehr böse. Ich wandte mich ab und befahl, Lidka eine Kampferspritze zu geben und umschichtig bei ihr zu wachen. Dann ging ich über den
Hof in meine Wohnung. Ich weiß noch, daß in meinem Zimmer blaues Licht brannte, daß der Döderlein und die anderen Bücher herumlagen. Angezogen legte ich mich aufs Sofa, und sofort verschwand alles, ich schlief ein und hatte nicht einmal Träume.
Ein Monat verging, ein zweiter. Ich hatte vieles gesehen, auch schlimmere Fälle
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