Auf den Flügeln der Sehnsucht
Fenster ihres kleinen Büros und starrte nach unten. Der Feierabendverkehr rollte auf der Hauptstraße dahin, die genau an der Bank vorbei ging. Eigentlich hätte sie schon ihre Sachen packen und nach Hause gehen können, doch es gab eigentlich nichts, das sie in die kleine Wohnung zog, die sie seit zwei Jahren bewohnte.
Seufzend wandte sie sich um, als es an ihrer Tür klopfte. "Noch so ein Später", sagte sie leise vor sich hin und lächelte bitter. "Herein."
"Hoffentlich störe ich dich nicht, Lena." Gustl Breiner, ihr Kollege aus der Giroabteilung, trat ein. "Ich sah noch dein Auto am Parkplatz, und da dachte ich, dass du vielleicht auch länger arbeitest."
"Ist etwas, Gustl?" Lena bemühte sich, freundlich zu sein. Sie wusste, dass Gustl sich in sie verliebt hatte, doch sie maß diesem Gefühl nicht allzu viel Bedeutung bei, denn Gustl war ständig in irgendeine Frau verliebt. Und wenn sie, Lena, nicht die Glückliche war, dann würde er ohne Zweifel bald einen Ersatz für sie finden.
"Du siehst nicht gerade glücklich aus", sagte der Mann und trat auf sie zu. "Kann es sein, dass du einsam bist?" Sein Blick ruhte forschend auf ihrem Gesicht. "So einsam wie ich..." fügte er leise und mit bedeutungsvollem Seufzen hinzu.
Lena unterdrückte ein Lachen, das ihr plötzlich im Hals steckte. "Du hättest Schauspieler werden sollen, Gustl, nicht Bankangestellter."
Der junge Mann schniefte beleidigt. "Du tust mir weh, Lenchen, merkst du das denn gar nicht?" Er zuckte mit den Schultern. "Dabei dachte ich, wir könnten unsere Einsamkeit zusammenwerfen und eine Gemeinsamkeit daraus machen."
"Deine Wortspielereien entbehren nicht einer gewissen Intelligenz." Nun lachte Lena herzlich. "Und da du es gar so lieb gesagt hast werde ich dein Angebot annehmen. Aber nur bis zweiundzwanzig Uhr, dann will ich in mein Bett. Mein Feierabend ist mir heilig."
"Versprochen." Gustls Gesicht erhellte sich sofort. "Wir gehen zum Chinesen essen, und dann lade ich dich noch ins Kino ein. Ist das was?" Erwartungsvoll breitete er die Arme aus, als wollte er sie auffangen und an sein Herz drücken.
Lena schüttelte den Kopf. "Das ist genau das Doppelte von dem, was wir in den drei Stunden schaffen können", sagte sie schmunzelnd. "Ich würde vorschlagen, wir essen eine Kleinigkeit und gehen dann noch ein halbes Stündchen am Fluss spazieren. Danach werden wir sicher gut schlafen. Und morgen können wir ausgeruht an unserem Arbeitsplatz erscheinen.
Zähneknirschend ergab sich Gustl seinem Schicksal. Wider Erwarten wurde es dennoch ein schöner Abend. Lena lachte viel, denn Gustl war ein charmanter und witziger Begleiter, der nicht ein einziges Mal versuchte, ihr zu nahe zu treten.
Lena rechnete ihm das hoch an, denn sie hatte auch schon andere Bekanntschaften gehabt. Deshalb ließ sie es auch zu, als er sie pünktlich an der Haustüre aus seinem Wagen steigen ließ, dass er sie auf die Wange küsste. Wie erwartet stellte sie dabei jedoch fest, dass sie außer oberflächlicher Freundschaft nichts für ihn empfand.
"Ich hole dich dann morgen früh rechtzeitig ab", sagte Gustl, denn Lenas Wagen stand noch immer auf dem Parkplatz, der zur Bank gehörte. Gustl hatte drauf bestanden, den Chauffeur für sie spielen zu dürfen.
Ziemlich müde und dennoch hellwach betrat Lena ihre kleine Wohnung, die ihr im Augenblick trotz allem wie eine Zuflucht erschien. Auf dem kleinen Schreibtisch im Wohnzimmer standen einige Fotografien in schmalen Silberrahmen. Jetzt stand sie davor und betrachtete sie nachdenklich.
Ihr ganzes bisheriges Leben war in ihnen enthalten. Ein Bild zeigte den Vater und die Mutter, damals, als sie noch alle zusammen eine glückliche Familie gewesen waren. Nicht lange, nachdem dieses Bild entstanden war, starb die Mutter an ihrer unheilbaren Krankheit, die ihr viele Lebensjahre und Lebensfreude genommen hatte und die sie dennoch so tapfer ertragen hatte.
Das nächste Bild zeigte Josef, ihren älteren Bruder und jetzigen Hofbesitzer. Josef war Bauer mit Leib und Seele, und vor einigen Jahren hatte der Vater, als ihn das Rheuma für einige Zeit ans Bett fesselte, den Hof seinem Ältesten übergeben.
Lena hatte eine Ausbildung in der Stadt bei der Bank gemacht. Die Arbeit gefiel ihr einigermaßen gut, aber noch immer versuchte sie sich einzureden, dass sie viel lieber in der Stadt lebte als auf dem Land. Dass es in Wirklichkeit nicht so war und sie
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