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Duerers Haende

Duerers Haende

Titel: Duerers Haende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
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    Den ganzen Tag über hatte es geregnet. Kräftig und ohne Unterlass. Nun am frühen Abend zeigte das Einheitsgrau des Himmels erste Risse. Hoffnungsvolle Streifen. Vielleicht würde dieser Montag ja der erste Septembertag werden, der nicht in Dauerschauern und Endlosnieseln ausklang.
    Die Nürnberger hatten die Nase voll von diesen ewigen Wassermassen, von diesem verregneten September, dem ein ebenso nasskalter August vorausgegangen war. Man wollte sich endlich wieder draußen aufhalten können, den Tag nicht nur in den eigenen vier Wänden oder den Büros und Ämtern verbringen müssen. Träge und kurzärmlig in Straßencafés sitzen, gemächlich durch die Stadt bummeln, sich im Freibad vergnügen und – für Franken der Glanz- und Höhepunkt eines gelungenen Wochenendes – gesellig im Garten grillen, dafür waren diese Monate doch vorgesehen.
    Mit der Nässe und Kälte hatte sich eine gedrückte Stimmung über die Stadt und ihre Seelen gelegt, die zu dem tristen Dauergrau des Himmels passte. Keiner, der in diesen Tagen nicht mit einem mürrischen Gesicht herumlief, das auf eine ausgeprägte Streitlust schließen ließ. Heute staute sich der Feierabendverkehr am Nordring vor der Äußeren Bayreuther Straße noch länger als gewöhnlich. Jeder in der Schlange achtete peinlich genau darauf, dass vorne niemand die Spur wechselte, und fuhr handbreit auf den Vordermann auf. Mit der berechtigten Sorge um die Unversehrtheit des eigenen Wagens staute sich auch das Adrenalin, machte sich in wilder Gestik und lautem Hupen Luft. Nicht einmal das Polizeiauto drei Ampellängen vor der Ausfallstraße wirkte mildernd oder abschreckend. Im Gegenteil.
    Paula Steiner war so sehr mit der Razzia vom vergangenen Donnerstagabend im Stadtteil Gostenhof beschäftigt, dass sie von all diesen Verkehrsverstößen und Beleidigungen rund um sie herum nichts mitbekam. Seit Tagen nutzte sie jede freie Minute wie diese hier auf dem Nordring, um sich die vierzig peinlichsten Sekunden ihres beruflichen Daseins als Kriminalhauptkommissarin vor Augen zu führen. Wieder und immer wieder. Es war wie ein Zwang. Sie redete sich ein, mit diesem bewussten Erinnern der Gefahr zu entkommen, nachts schweißgebadet aus Alpträumen aufzuschrecken. Doch im Grunde suchte sie bei ihren visuellen Wiederholungen lediglich nach einer Chance, den Vorfall als nicht so grauenhaft, nicht ganz so blamabel deuten zu können. Nach einer Lücke in dieser Filmsequenz, durch die sie schlüpfen könnte und die ihr bodenloses Versagen in einem gefälligeren, blasseren Licht erscheinen ließe.
    So bezog sie in Gedanken abermals Position neben der Haustür in diesem schäbigen Gostenhofer Hinterhof und nickte ihrem Kollegen und Mitarbeiter Heinrich Bartels aufmunternd zu, der mit gezogener Waffe zur Toreinfahrt lief, als in der Realität ein untersetzter Mann in einem schlecht sitzenden Anzug wutschäumend an ihr Autofenster klopfte. Sie schreckte auf und öffnete das Fenster einen Spaltbreit.
    »Jetzt wird’s aber höchste Zeit! Aussteigen! Schaun S’ amal, dass hier was vorwärtsgeht! Ich zahl doch nicht Steuern dafür, dass sich die Polizei einen faulen Lenz macht.«
    Auf ihren fragenden Blick fügte er, nun schon milder im Ton, hinzu: »Oder sehen Sie nicht, wie sich hier der Verkehr staut?«
    Nein, das sah sie nicht, hätte sie wahrheitsgemäß entgegnen müssen. Oder dass ihr das nicht nur heute herzlich egal war. Und dass sie nicht befugt war, Aufgaben der Schutzpolizei auszuüben. Stattdessen stieg sie aus, zog die Augenbrauen bedrohlich nach oben und herrschte den nach Schweiß riechenden Mann an: »Sie setzen sich augenblicklich wieder in Ihr Auto und halten den Mund. Denn was Sie hier gerade veranstalten, ist versuchte Nötigung und Beleidigung einer Beamtin im Dienst. Beides im Übrigen strafbar. Und wenn Sie den Anforderungen des Nürnberger Straßenverkehrs zur Hauptverkehrszeit mental nicht gewachsen sind, dann müssen Sie eben zu Fuß gehen oder, noch besser für die anderen Verkehrsteilnehmer, daheim bleiben. Also, wird’s bald?«
    Das wirkte. Der Anzugträger trat stumm den Rückzug an, und Paula Steiner konnte sich wieder ihrer Gostenhofer Razzia widmen. Als sie vor dem St.-Theresien-Krankenhaus in der Mommsenstraße einparkte, hatte sie schon ein großes Stück ihres inneren Films abgespult. Heinrich hatte bereits die Mauer erreicht, war daran rücklings, noch immer mit gezogener Waffe in der erhobenen rechten Hand, entlanggeschlichen und setzte soeben

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