Aufstand der Fischer von St. Barbara
wie Schande. Dann beruhigte er sich. Ihn, Hull, hielt niemand fest, er war frei, niemand hielt ihn zurück. Er verstand ganz genau, daß er niemals im Ernst daran gedacht hatte, abzufahren. Er erkundigte sich nach dem nächsten Dampfer nach St. Barbara zurück. Noch ein paar Stunden trieb er sich herum, dann ging er auf den Dampfer. Unterwegs saß er drunten auf einem Fleck. Er blieb ganz unbehelligt, niemand erkannte ihn, wie bei der Herfahrt. Er sah immer vor sich hin. Er bekam Lust auf Weiber, dabei fiel ihm ein, daß er auf der Insel so viele hätte haben können, wie er wollte, und es unbegreiflicherweise unterlassen hatte. Er wurde auch bei der Landung nicht angehalten, auch nicht auf dem Weg durch das Dorf. Es war Abend, der Weg war leer. Er kam aber doch an ein paar Frauen vorbei, an einem jungen Burschen. Er ging schnell, ehe sie ihn ansprachen. Sie fuhren zusammen, starrten ihm nach, über ihr Gesicht war schon eine neue Haut gewachsen, die bekam einen Riß, die alten Gesichter sahen hindurch, Hull ging hinauf in die Schenke. Die Schenke war nicht voll, kurz vor der Abfahrt trödelten die Fischer drunten in den Stuben. Aber ein paar waren doch da, die kniffen die Augen zusammen, rückten näher. Hull hatte sich kaum gesetzt, als Desak aus dem Laden hereinkam. Er stutzte und sagte: „Wozu seid Ihr gekommen?" Hull lachte, Desak fuhr fort: „Es hat keinen Sinn, daß Ihr zurückgekommen seid. Ich kann Euch auch hier nicht brauchen, ich habe drunten vor Gericht ausgesagt, daß ich nichts von Euch weiß und daß Ihr nicht bei mir gewohnt habt." Hull senkte den Kopf, er wußte, daß Desak recht hatte, der hatte ihn immer ohne viel zu fragen beherbergt. Die Fischer dachten: Er ist wieder da, da ist er also, das ist gut. Hull setzte sich. Jetzt war es wie immer. Er redete den Fischern zu, ihre Kameraden heraufzurufen. Sie sollten nicht auf die Weiber hören, sie sollten zusammenbleiben und kein Schiff herauslassen. Die Fischer rückten naher und hörten gespannt mit zu. Ein paar Minuten war es, wie es immer gewesen war. Dann wurde Hull herausgerufen. Das waren Kedelsche Soldaten, die ihn mitnahmen. Nachher konnte man nicht mehr feststellen, wer sie geholt hatte, ob einer unter den Fischern, ob Desak, oder ob die Soldaten Hull doch erkannt hatten und ihm gefolgt waren, Die paar Fischer saßen noch eine Weile schweigend um einen Tisch. Es kam aber nichts mehr außer dem Leuchtfeuer, zwei lange Striche und ein kurzer. Sie gingen nacheinander. Jetzt war es leer im Hause, man merkte, daß der Wind gar nicht aufgehört hatte, er knirschte zwischen den Brettern. Marie war jetzt allein. Hull hatte sie gar nicht bemerkt, aber sie hatte ihn eintreten und weggehen sehen. Während der ganzen Zeit hatte sie mit zugekniffenen Augen neben dem Schrank gesessen und eine Franse ihres gelben Tuches um den Daumen gedreht. Jetzt stand sie auf, schraubte die Lampe ab und ging hinauf. Sie war noch auf der Treppe, da klopfe es wieder. Sie ging hinunter, die Stube war schon voll Soldaten. Sie fragten nach Desak, der sei nicht da, da fingen sie an, im Laden herumzusuchen, zum drittenmal diesen Monat. Sie hörten aber bald auf. Sie waren guter Dinge, zum Teil hatten sie schon getrunken, sie tranken gleich weiter. Marie kannte die meisten aus den Dünen. Es waren lauter Leute aus dem Landinnern, viele waren in diesem Jahr zum erstenmal ans Meer gekommen, sie hatten sich den Winter über auf der Insel gelangweilt. Marie kannte auch den langen struppigen, der sie jetzt unter die Achseln faßte und gegen die Wand drückte. Sein Gesicht, wenngleich rotbetrunken, war so jugendlich, daß es gar nicht anders wie gutmütig aussehen konnte. „Ei, du", sagte er, „du hast den Bredel heraufgeholt, damals, und den Hull hast du hier gehabt, und den kleinen Bruyn auch von drunten." Er plapperte irgend etwas nach. Aber er hatte Lust, auch einmal etwas Böses zu unternehmen. Er drückte die Daumen gegen ihre Schultern, und die Knie gegen ihren Bauch. Marie sah ihn starr an, machte sich plötzlich weich und schlüpfe unter seinem Arm durch. Die Soldaten lachten, faßten nach ihr, Marie schlüpfe wieder durch. Sie horchte scharf dabei, ob Desak durch den Laden heimkommen möchte, aber er kam nicht. Der junge, struppige, der sich ärgerte, drückte Marie gegen den Tisch, bog ihren Oberkörper auf die Platte und klemmte sie fest. Marie wußte nicht, warum diese Kedelschen Soldaten auf einmal und gerade jetzt und alle miteinander eine solche Wut auf
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