Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
der von 1868 bis 1869 in Fortsetzungen erschien. Nach dem Doppelmörder Raskolnikow hatte er einen Roman mit einer durchweg positiven Hauptfigur gestalten wollen und schuf dazu die paradoxe Gestalt des auf seine Art »weisen Idioten«, den armen Fürsten Lev (Löwe) Myschkin ( Myš = Maus ).
In Dresden begann er einen weiteren Roman, der das Thema des Nihilismus und Terrorismus aufgreift: Besy ( Böse Geister ). Er schloss ihn nach der Rückkehr nach Petersburg im Juli 1871 ab. Besy beschreibt Aktivitäten einer Gruppe skrupelloser Revolutionäre in einer Provinzstadt. Drahtzieher ist Pjotr Werchowenskij, der Sohn eines liberalen Privatgelehrten und Hauslehrers (der Nihilismus also ein Kind des Liberalismus), der den Sohn einer Gutsbesitzerin erzogen hat. Dieser, den Pjotr zum Führer der Gruppe machen will, bleibt bis zum Ende des Romans geheimnisvoll: Er ist schön, begabt und willensstark, aber ohne Ideal und ohne Ziel. Seine Ideen gibt er vielmehr anderen als idée fixe ein, er selbst stellt Experimente an, um herauszufinden, ob es nicht doch etwas gibt, was ihn wirklich zu bewegen imstande ist. Dazu heiratet er eine Behinderte und verführt sogar ein Kind (das Kapitel, das das Geständnis dieser Tat enthält, wurde zunächst durch die Zensur getilgt). Die Revolutionäre begehen mehrere Morde bzw. geben sie in Auftrag, Teile der Stadt brennen ab. Der Terrorismus erscheint als eine Form der Besessenheit; als Motto vorangestellt ist die biblische Erzählung von den Teufeln, die in eine Schweineherde fahren (Lukas 8, 32–36). Die Veröffentlichung des Romans besorgte seine Frau; D. nahm trotz politischer Bedenken das Angebot an, in der Redaktion des sehr konservativen Graždanin (Der Bürger) zu arbeiten. Hier publizierte er ab 1873 über 15 Monate eine Feuilletonserie unter dem Titel Dnevnik pisatelja ( Tagebuch eines Schriftstellers , 1921–23), in der er viele Gedanken in essayistischer Form formulierte, die auch von den Figuren der fiktionalen Texte geäußert werden. Von 1877 bis 1883 führte er den Dnevnik in eigener Regie als eigenständige Monatsschrift weiter. Dort erschienen auch einige kleinere Erzählungen. Sein Privatleben hatte sich spätestens seit der Rückkehr nach Russland stabilisiert, aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. D. arbeitete in den 1870er Jahren viel, zumal noch viele Schulden abzubauen waren, seine Gesundheit aber verschlechterte sich. Zur Epilepsie kam ein Lungenleiden hinzu, das ihn zu mehreren Kuraufenthalten in Bad Ems zwang.
Der vierte große Roman der nachsibirischen Schaffensphase wurde D.s bekanntestes Werk: Brat’ja Karamazovy ( Die Brüder Karamazow , 1884). Von Monat zu Monat warteten 1879 und 1880 mehr Leser auf die jeweils neue Folge des Romans in Russkij vestnik . Der Gutsbesitzer Karamazow hat drei legitime und einen illegitimen Sohn, Smerdjakow, der mit im Hause lebt. Die drei Brüder treffen sich nach längerer Zeit wieder einmal zu Hause, und während dieser Zeit wird der Vater ermordet. Dmitrij, der Älteste, wird am stärksten verdächtigt, weil er mit dem Vater um die Gunst der schönen Gruschenka rivalisierte. In Dmitrij hat sich vor allem die Leidenschaft des Vaters weitervererbt, in Iwan dessen Rationalität, in Alexej, dem Jüngsten, das Streben nach Gutem. Alexej ist Novize in einem Kloster geworden, wo er sich einen geistlichen Vater gesucht hat. Die komplexe Sinnstruktur des Romans ruht auf einer klaren Kriminalhandlung und einer symmetrisch strukturierten Figurenkonstellation, die auch Doppelgänger-Konstrukte einschließt.
Als Werk im Werk lässt D. Iwan Karamazow seinem Bruder Alexej das Sujet einer Dichtung erzählen: Die Legende vom Großinquisitor. Sie wurde später auch als eigenständiges Werk gedruckt und kommentiert. Der Roman machte den Autor zu einer moralischen Institution in Russland. So lag es nahe, dass man ihn einlud, bei der Enthüllung des Moskauer Puschkin-Denkmals Anfang Juni 1880 als einer der Festredner aufzutreten. D. brachte in seiner Rede die wichtigsten Themen, mit denen er sich in den vergangenen Jahren beschäftigt hatte, gleichsam auf einen Punkt: Religion und Gesellschaft, das Wesen des russischen Volkes, seine Geschichte und seine Bestimmung. Puschkin erklärt er zum Inbegriff des echten Russen, da er Ost und West, Seele und Rationalität in seinem Werk versöhnt habe. Die Rede rief im Publikum euphorische Reaktionen hervor; die weiteren Redner verzichteten auf ihre Beiträge, da alles gesagt sei. Sechs Monate später
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