Aus Liebe zum Wahnsinn
auch noch das Alleinsein als Paar. Eltern sind grundsätzlich gefährdet, sich selbst zu übersehen, in der Familie unterzugehen, sich einzugraben in Organisation, Kinderterminen, Verwandtschaftsverpflichtungen. Regelmäßig fahren wir dann hoch aus rastloser Betriebsamkeit.
»Und wir? Wo bleiben wir?« Dann kämpfen wir um Inseln für unser Leben, allein zu zweit. Raus aus der Routine und Kinder abstoßen. Wer dafür eine Rechtfertigung braucht: Nur glückliche Eltern sind gute Eltern.
Die Abende nach acht gehören uns, immer mal wieder eine kleine Bergtour – allein, zu zweit. Und neulich waren wir zwei volle Wochen in New York. New York – wir waren total beeindruckt. Von der Stadt, klar – aber auch von unserer Fähigkeit, planlos in den Tag zu stolpern. Elf Jahre Großfamilienmanagement sind nahezu schadlos an uns vorbeigezogen. Nichts verlernt. Das ging schon am Münchner Flughafen los mit dem falschen ESTA -Formular und zog sich hin über Tage voller Faulheit, Müßiggang und Fehlplanung auf dem Rad durch New York bis zum letzten Tag, an dem wir abgeklärt und routiniert – wir kannten das U-Bahn-System nun wirklich in- und auswendig – in die Bahn stiegen. Zum falschen Flughafen.
Die Kinder hatten wir mit meinen Eltern in unseren Bus gepackt, das Navi auf Toskana programmiert, zu den Schwiegereltern: den Betreuungsschlüssel verbessern.
New York, East Village, zweiter Morgen unserer Reise, Frühstück mit dem Freund einer Freundin, den wir noch nie gesehen hatten. Den müssten wir unbedingt treffen, meinte sie. Und fahrlässig, wie wir nun mal sind, hatten wir keine Rücksicht genommen auf Tagesstimmung und schon vorab etwas vereinbart. Kurz bevor wir ihn begrüßen konnten – es fehlten noch 15 Meter – läutete mein Handy. Italien. Meine Mutter.
»Hallo New York.«
»Du, es ist gerade ein wenig ungünstig.« Ich nickte dem Freund zu, versuchte zu grinsen, deutete mit der freien Hand auf das Telefon. Gleich, ja gleich.
»Also, wir haben jetzt doch einen Gips an das Bein machen lassen.«
Viola begrüßte den Typen. Fragte mit Gesten, ob sie schon mal reingehen sollten.
»Wie? Welcher Gips? Welches Bein?«
»Ja, Camilla eben.«
»Wie ›Camilla eben‹?«
»Ja, die im Krankenhaus hier meinen, dass es eben doch gebrochen sei.«
Ich hörte noch das Wort »Baum«, dann riss die Verbindung ab. Und wir waren wieder allein. Mit Frühstück und dem Freund der Freundin.
Ich schaue die Frau über Eck an, nehme einen tiefen Schluck. Damals am Innsbrucker Ring ging alles noch mal gut. Oma war nämlich dabei und Oma ist als Erste in die U-Bahn eingestiegen, ist mit abgefahren. Viola hat den Vorgang trotzdem der Münchner Verkehrs Gesellschaft geschildert und um Stellungnahme gebeten. Nach gut zwei Wochen kam eine Antwort: Der Fahrer habe sich korrekt verhalten, werde aber »darauf hingewiesen, den Dienst künftig kundenorientierter zu verrichten. … Wir möchten Ihnen auch empfehlen, den Kinderwagen nicht loszulassen …« Kein Wort der Entschuldigung. Nur die Ermahnung, dass der Aufforderung »Bitte zurückbleiben« unbedingt Folge geleistet werden müsse.
Also wirklich die Frau allein lassen? Für dieses merkwürdige Hamburger Leben? Hier fahre ich ohne Fahrradsitz durch die Stadt, ohne Notbanane in der Tasche, ohne verräterische Kinder-Speichel-Rotzspuren auf der Schulter. Hier rammt kein Bobbycar Sonntagfrüh um sechs mein Bett. Hier wache ich irgendwann auf mit Kater. Im Kopf, in den Beinen, in den Schultern. Von den Drinks, vom Tanzen, vom ungesunden Leben. Hier bin ich ein ganz normaler Thirty-something auf der Suche nach Spaß, Hirn und Sinn. Ich bin Halbtags-Single, und auch das arbeite ich verblockt ab.
Die Familie fährt währenddessen auf Sparflamme: telefonieren, immer mal wieder ein Brief. Zwei-, dreimal haben wir es auch mit Skypen probiert. Da habe ich den Laptop durch die Wohnung getragen, den Kindern gezeigt, was ich gerade koche, was für ein Chaos bei mir im Zimmer herrscht, welche Kinder im Hof schaukeln. Die zwei Kleinen haben das aber nicht so recht kapiert und dann in München alle Zimmer nach mir abgesucht. Also lieber wieder warten, Funkstille.
Noch ein Schluck, ich schaue der Frau über Eck gerade in die Augen. Sie ist aufgebracht. Ich habe sie aus der Reserve geschwiegen.
»Entschuldige, wenn ich ein wenig ruppig bin, aber: Lebst du in Wahrheit nicht auf Kosten deiner Frau?«
Auf Kosten meiner Frau?
»
Ihr
mache ich sechs Kinder und
mir
ein
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