Aus Liebe zum Wahnsinn
mit in das Spiel hineinrechnen. Oliver eben. Ich aber knicke da regelmäßig ein.
»Was soll das heißen: Das Telefon?«
»Viola, meine Frau, ist gerade im Chor. Sie hat unser Telefon auf Babyfonmodus gestellt und neben die Jungs gelegt. Wenn einer von ihnen schreit, ruft das Telefon Viola auf dem Handy an. Sie kann dann abheben, reinhören, nach Hause rasen oder wieder einhängen.«
»Okay.« Pause. »Und warum ist das Telefon nicht auf dein Handy gestellt?«
»Ist es auch manchmal. Und manchmal ist es sogar aus, und wir sind zu Hause. Nur: Wir leben in München. Es macht also keinen Sinn, wenn ein schreiendes Kind bei mir in Hamburg anruft.«
Sind es rote Flecken auf ihrem Hals, oder bin ich schon so betrunken? Die Frau über Eck scheint sich auf einmal nicht mehr sicher zu sein, ob sie nicht doch auf den Arm genommen wird, ob das Ganze nicht doch nur der Scherz eines schlechtfrisierten Promovenden ist, der für seine Psychologiehausarbeit eine Versuchsanordnung testet.
»Ich bin nur fürs Büro hier, halbe Stelle. Zwölf Tage pro Monat.«
Als Hauptgericht gibt es Putengeschnetzeltes in Sahnesoße mit Reis. Ein Freund präsentierte dieses Gericht in Irland mal als typisch deutsche Küche. Er war gebeten worden, etwas Traditionelles zu kochen. Was ihr so zu Hause eben immer esst. Da war ihm nur Regionalquatsch eingefallen. Aber Putengeschnetzeltes in Sahnesoße mit Basmati-Reis, das esse man doch in ganz Deutschland, oder?
»Und wie teilt ihr euch das auf?«, fragt die Frau über Eck.
»Meine Frau arbeitet. Ich gehe ins Büro.«
In Hamburg habe ich einen richtigen Arbeitsplatz, kleine, beschränkte Verantwortungen, einen richtigen Feierabend, und die Nächte kann ich durchschlafen oder durchmachen – wie ich will. Zu Hause arbeite ich frei, am Schreibtisch im Wohnzimmer oder in der Wohnung eines Freundes, in der Bibliothek oder auf dem Balkon. Ständig gibt es große und kleine Entscheidungen zu treffen, nachts stehe ich auf, weil irgendein Kind immer was hat.
»Das muss ganz schön hart sein …«
»Stimmt, das ist es.«
»… für deine Frau.«
Gibt es eigentlich noch Geschnetzeltes?
»Wie macht sie das nur?«
Nein, Geschnetzeltes ist aus.
»Mit links«, sage ich trotzig.
Wein, mehr Wein. Das Essen ist schwierig. Fleisch ist aus, der Reis zu weich, dafür im Überfluss.
»Und jetzt die Nachspeise«, ruft Silke und grinst in meine Richtung.
O Gott, die Rhabarberfußmatte. Die hatte ich schon ganz vergessen. Ich räuspere mich. Das sei ein wenig schiefgegangen, baue ich vor, mit dem negativen Effekt, jetzt auch noch maximale Aufmerksamkeit generiert zu haben. Als ich das Blech aus dem Ofen ziehe, verebben die Gespräche. Ein bisschen ehrfürchtiges, hauptsächlich aber unverschämtes Schweigen. In der Mitte: ich und die Rhabarberfußmatte – ein Mann und sein Malheur. Rhabarber hat ja den Nachteil, dass er gebacken immer ein wenig suppt und schnell nach dreiwochenalt aussieht. Unglücklicherweise lebt gebackener Rhabarber auch noch in derselben Farbwelt wie Schimmel. Normalerweise kein Problem, weil der Eischnee das Ganze märchenhaft umwölkt. Das Problem: Den märchenhaften Eischnee habe ich gottverdammt nochmal vergessen.
Ute ist die Erste, die das Schweigen bricht. »Ich weiß doch«, sagt sie, »warum ich eingeladen worden bin.«
Ute, meine Eis-Connection, meine Rettung. Kennengelernt habe ich sie an einem Freitagnachmittag vor mehr als zwei Jahren am Hamburger Hauptbahnhof. Ich war auf dem Weg zu Gleis 14 , nach München. Überall Menschen, alle wollten in ihr Wochenende. Und da war Ute. Sie schien in der Menschenmasse gegen den Strom zu gehen. Sie hatte eine lachsfarbene Styroporbox dabei, nur geringfügig kleiner als eine Couchgarnitur, die sie wie ein Postpaket mit Computerkabeln verschnürt hatte. Ihre Hand steckte im Kabelkreuz, die Stecker zogen sich in die Knoten hinein. Auf der Seite der Box ein Aufkleber: »Keep frozen«.
»Machst du illegalen Organhandel?«
Sie schaute kurz auf und stellte umgehend die tiefgefrorene Sofagarnitur ab, richtete ihre Körpermassen neu aus. Etwas, wovon Ute sehr viel hat.
»Eis«, antwortete sie.
Zwei Dinge sah ich in ihrem Gesicht sofort. Erstens: Sie benutzte irrsinnig roten Lippenstift (»Bobbi Brown«, verriet sie mir später.) Zweitens: Sie war saufroh, dass sie einen Grund für eine Pause hatte. Ute erzählte von Freunden und ihrer Arbeit bei Ben&Jerry’s und dass sie nach Hannover fahren wollte mit dem Eis und … Eis nach
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