Auswahl seiner Schriften
in seiner Bücherei dem engsten Bestände ausgewählter Edelgeister einzuverleiben.
Nun gibt es aber eine andere, zahlreichere Gruppe: es sind die begeisterten Bewunderer der Werke Wagners, die dennoch nicht dazu zu bewegen sind, sich mit seinen Schriften zu befassen. Meine Überzeugung ist: Wagner steht sich selbst hier im Wege; sein Licht ist es, das einen so starken Schatten wirft.
Seine Werke ..... ich rede hier nicht von relativem Werte, sondern ich rede von Eigenschaften, die einerseits jene vorhin genannte reine Form, andrerseits jenen vorhin genannten reinen Ausdruck betreffen, und da behaupte ich: diese Werke sind unstreitig in bezug aus Form und in bezug auf Ausdruck das Vollendetste, was die Menschheit besitzt; »Vollendung« ist geradezu ihr Kennzeichen; vielleicht findet sie sogar mancher Schöngeist zu vollendet, zu blendend, zu erschöpfend, und ersehnt sich weniger scharfe Umrisse, mehr Schatten, mehr Freiheit für die Phantasie; gleichviel, die doppelte Vollendung bleibt ihnen – der Form und des Ausdrucks; und beides – Form und Ausdruck – ist Musik und wirkt somit erlahmend auf jedes Verlangen nach Abstraktion, Geschichte, Theorie; und was (als Handlung) zwischen beiden schwebt, an Element und Gestalt in wechselndem Maße beteiligt, ist so bestrickende Augenweide, so zwingende Seelenregung, so unerschöpflich symbolischer Vorgang, daß uns Hirn und Herz bis in die letzte Falte ausgefüllt werden. Wie sollten wir noch mehr aufnehmen können? Schopenhauer hat das lapidare Wort geprägt: Nie Kunst ist stets am Ziele. Wahrhaftig, wenn je eine es war, so ist es diese! Wie manches schöne Werk lieben wir in seiner Unvollendung: die Andeutung, die Absicht, das hohe Streben wirken herauslockend auf Geschmack und Willen; mir arbeiten mit und türmen ein Gebäude in die Wolken, das selbst aus Wolken aufgemauert ist. Hier, nichts desgleichen: alles ist getan, alles ist fertig, alles ist – wenn ich mich so ausdrücken darf – in vollendete Natur übergegangen. Und da sollten wir noch Lust verspüren, zu Büchern zu greifen, und uns über Königtum und Staatsgewalt, über Revolution und Regeneration, über Roman, Oper, Reform des Theaters und der Gesellschaft belehren zu lassen? Nein! Eine einzige Gestalt nur kann neben diesen Werken Interesse beanspruchen: die ihres Schöpfers. Auch dieser Instinkt ist ein so natürlicher, ein so wohl begründeter, daß ich es nicht zu tadeln wage, wenn die deutschen Leser nach den Lebensschilderungen und den vielen Bänden der Briefe des Meisters greifen, dagegen die Schriften wenig beachtet abseits liegen lassen. Hierbei wirkt noch ein Umstand unbewußt mit. Zum Wesen aller dramatischen Schöpfung gehört die »Verdichtung« des Stoffes (wie Wagner es nennt), sowie die Zusammenfassung sämtlicher Strahlen in einen einzigen Brennpunkt des Interesses. Was ihm bei seinen Werken so vollendet gelang, das betrifft nunmehr auch seine Person. Die Welt – gleichviel ob gut«der schlecht – verblaßt neben einer solchen Erscheinung; unter dem Eindruck seiner Werke fragen wir nicht mehr nach ihr; möge sie ihre Wege gehen; neben dieser Schärfe und dieser Schönheit steht unsere ganze Gegenwart gar zu verworren und reizlos da; nur ein Interesse bleibt uns: wie war Er? wie lebte Er? Wir wollen das Drama seines eigenen Lebens kennen; dies allein kann uns neben den Werken ergreifen.
Auch diese Stufe mußte durchschritten werden; vielleicht aber reifen die Zeiten jetzt einer Wendung entgegen; denn früher oder später muß die Erkenntnis von dem Werte dieses Vermächtnisses durchbrechen. Die grundlegenden Schriften aus den Züricher Jahren bezeichnet Wagner einmal als »Selbstgespräche« und meint, er wisse nicht recht, für wen sie bestimmt seien; hierin liegt die Gewähr für ihren dauernden Wert. Denn hätte er zu Zeitgenossen geredet, so konnte ihre Bedeutung vielfach bedingt und vergänglich sein; so aber redet er zu sich, ringt er mit sich, um »alles Dämmernde in seinem Leben sich zum Bewußtsein zu bringen«; und da hat er doch anderes und doch mehr zusagen, als wenn er an Frauen, Freunde und Künstler Briefe schreibt. Gewiß ist jede Zeile aus dieser Feder fesselnd und verehrungswürdig; doch die bedeutendsten aller Dokumente, die Wagner hinterlassen hat, müssen ohne Frage seine Selbstgespräche, d. h. seine Schriften sein. In ihnen erlebt man es – Schritt für Schritt –, wie der Schöpfer vollendetster Werke »sich selbst vollkommen klar wird« (so schreibt er
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