Auswahl seiner Schriften
Vorwort
Die Schriften Richard Wagners sind noch nicht so allgemein bekannt, wie es im Interesse von Kunst und Kultur zu wünschen wäre; Zweck dieses Bändchens ist, mehr Leser für sie zu gewinnen. Bedenkt man die herrschende Stelle, welche sich die Bühnenwerke Wagners in der ganzen zivilisierten Welt errungen haben, so nimmt es wunder, das Interesse für seine Schriften noch so wenig rege zu finden. Zum Teil mag hierbei das alte Vorurteil nachwirken: die Schriften über Musik böten dem Nichtmusiker wenig Kurzweil; man kann dies auch kaum »Vorurteil« nennen, denn, wahrhaftig! außer den Briefen von Mozart und Beethoven dürfte es kaum etwas auf diesem Gebiete geben, was als Literatur oder Geschichte dauernden Wert besäße. Wie anders verhält es sich mit der bildenden Kunst! Nicht allein ein Diderot, ein Winckelmann, ein Lessing, ein Hogarth, ein Goethe haben über sie so zu schreiben verstanden, daß es eine dauernde Bereicherung unseres Kulturschatzes bedeutete, sondern auch geringere Männer – ein Stendhal, ein Baudelaire, ein John Ruskin, ein Jakob Burckhardt und manche andere leisteten hierin Vortreffliches und werden auch vom Nichtfachmann noch lange gern gelesen werden. Nicht Maler noch Bildhauer waren diese Männer; sie besaßen aber eine große allgemeine Kultur, sowie Meisterschaft in der Handhabung des Gedankens und des Wortes, und das gerade befähigte sie, über bildende Kunst Interessantes zu sagen. War doch die Blüte der hellenischen Plastik unmittelbar aus den Taten vollendetster Dichtung hervorgesprossen, als die Sichtbarwerdung dessen, was der Poet im Traumbild erblickt hatte; schöpfte doch die Renaissance alle ihre Motive aus Religion und Mythos; bot selbst die Landschafts- und die Lebensmalerei hundert Anknüpfungspunkte für den Schilderer, den Moralisten, den Kunstfreund. Ein gemeinsames Gelände, reich an Anregungen wie alle Grenzgebiete, war also hier von allem Anfang an gegeben. Dazu die Tatsache, daß, im Notfalle, eine beigegebene Umrißzeichnung genügte, einem jeden sofort wenigstens anzudeuten, wovon die Rede sei. Bei der Tonkunst entfallen alle diese Handhaben für die literarische Verwendung. Nur besonders begabte und eingehend geschulte Techniker vermögen es, aus einer stummen Partitur Harmonienfolge und Klangfarbe herauszuhören, als ertönten sie vor ihren Ohren; für die übrige Menschheit existiert Musik nur in dem Augenblick ihrer Aufführung; die »Illustration« ist ausgeschlossen; eine Musikgeschichte gleicht einer Geschichte der Malerei für Blinde. Doch dies nur nebenbei; denn der wahre Grund, weswegen man über Musik nicht reden kann, liegt weit tiefer und bewirkt, daß auch der Musiker dem Musiker wenig von Belang zu sagen hat. Musik und Verstand sind nämlich inkommensurabel; womit gesagt wird: es fehlt zwischen ihnen jeder gemeinsame Maßstab. Technisch betrachtet ist Musik reine Form, ebenso reine Form ohne Inhalt wie die Mathematik; wie bei einer algebraischen Gleichung: es stimmt alles und besagt nichts. Seelisch betrachtet ist dagegen Musik reiner Ausdruck : sie sagt alles und bestimmt nichts. Das eine Extrem schlägt jäh in das andere um, sobald der Standpunkt des Betrachtenden um ein weniges verschoben wird; das Mittelgebiet fehlt. Dagegen ist der Verstand seinem ganzen Wesen nach ein Vermittler, und sein Organ, die Sprache, reicht weder hinab zu den unter den »ewigen Schemen« thronenden »Müttern«, noch hinauf zu jenem einmaligen, nie wiederkehrenden Gegenwartsaugenblick, den wir Ausdruck der Seele nennen, und vor dem alle Zeit hinschwindet. Darum mag wohl der Philosoph über das Wesen der Musik reden, doch über die Werke der Musik läßt sich in Worten nichts sagen. Zug für Zug folgt ein Phidias in seinem olympischen Heus dem Gesicht des Sehers; da steht er, der eine bestimmte Gott, wie ihn einzig Homer erblickt hatte; mögen Ästheten und Philologen untereinander ausmachen, wessen Vision die gewaltigste war: keiner kann bestreiten, daß Bildner und Poet dieselbe Gestalt erblickten. Wogegen, sollte ein Musiker sich durch Dichtung und Bildmerk begeistert fühlen, einen Tonsatz dem olympischen Zeus zu widmen, kein Mensch diesen Ursprung seiner Eingebung erraten könnte; denn alle Majestät, Gewalt, Ruhe, alle Kraft des Blickes und des Ewigkeitsgefühles, die er in seine Tongestalt zu zaubern und dadurch auch bei einer entsprechend guten Aufführung uns in die Seele zu gießen verstanden hätte, könnte sich ebensogut auf Brahman Prajâpati, auf
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