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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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Vegetation. Über dem übrigen Friedhof, scharf gegen den hellen Himmel abgehoben, reckt ein aufrechtstehender Grabstein sein karges, spitz zulaufendes Türmchen in die Höhe wie der gespenstische Anführer einer Lemurenhorde. Die Luft ist schwer von abscheulichen Ausdünstungen der Pilzgewächse und den Gerüchen der feuchten, schimmeligen Erde, aber für mich sind das die Wohlgerüche Elysiums. Es ist still -
    erschreckend still -, ein Schweigen, dessen Tiefe von Ernst und Grauen kündet. Könnte ich mir meinen Wohnsitz frei wählen, fiele meine Wahl auf das Herz einer derartigen Stadt aus faulendem Fleisch und zerfallenden Knochen, denn ihre Nähe sendet ekstatische Schauder durch meine Seele, läßt das träge Blut durch die Adern rasen und mein schlaffes Herz in der Freude eines Deliriums pochen - denn die Anwesenheit des Todes ist für mich das Leben!
    Meine frühe Kindheit verbrachte ich in einer einzigen ununterbrochenen, trostlosen und eintönigen Apathie. Streng asketisch, kränklich, bleich, allzu klein geraten und häufig in länger dauernde Perioden morbider Niedergeschlagenheit versunken, wurde ich von den gesunden, normalen Jungen meines Alters gemieden. Sie nannten mich Spielverderber und
    »altes Weib«, weil ich kein Interesse an den rohen, kindischen Spielen hatte, die sie spielten, und auch nicht die Ausdauer mitzumachen, falls ich es gewollt hätte.
    Wie alle ländlichen Orte hatte auch Fenham seine
    Klatschbasen mit spitzen Zungen. Für ihre vor nichts zurückschreckende Phantasie war mein lethargisches Temperament eine abschreckende Abnormität; sie verglichen mich mit meinen Eltern und schüttelten vielsagend den Kopf über den ungeheuren Unterschied. Einige, die stärker dem Aberglauben zuneigten, nannten mich offen einen Wechselbalg, während andere, die von meiner Herkunft wußten, auf die vagen, geheimnisvollen Gerüchte aufmerksam machten, die über einen Ururgroßonkel umliefen, der als Hexenmeister auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war.
    Hätte ich in einer größeren Stadt gelebt mit mehr Gelegenheit zu kameradschaftlichem Umgang mit Gleichgesinnten, hätte ich vielleicht diese frühe Neigung zum Einsiedlertum überwinden können. In der Pubertät wurde ich noch verstockter, trübsinniger und apathischer. Meinem Leben fehlte es an Antrieb. Etwas schien mich im Griff zu haben, das meine Sinne stumpf machte, meine Entwicklung hemmte, meinen Unternehmungsgeist unterband und mich auf unerklärliche Weise mit
    Unzufriedenheit erfüllte.
    Ich war sechzehn, als ich zum ersten Mal ein Begräbnis besuchte. In Fenham war ein Leichenbegräbnis ein
    außerordentliches gesellschaftliches Ereignis, denn unsere Stadt war für die Langlebigkeit ihrer Bewohner bekannt. Wenn darüber hinaus mein überall bekannter Großvater der Anlaß für ein Begräbnis war, lag es nahe, daß die Ortsbewohner in hellen Scharen ausziehen würden, um seinem Andenken die
    gebührende Ehre zuteil werden zu lassen. Und doch sah ich der näherrückenden Zeremonie nicht einmal mit verstecktem Interesse entgegen. Alles, was mich aus meiner
    gewohnheitsmäßigen Trägheit reißen konnte, versprach nur körperliche und geistige Unruhe.
    Mich dem Drängen meiner Eltern fügend, vor allem aber deswegen, um mich nicht ihrer bissigen Mißbilligung dessen auszusetzen, was sie meine pflichtvergessene Haltung zu nennen pflegten, erklärte ich mich bereit, sie zu begleiten.
    Am Begräbnis meines Großvaters war überhaupt nichts ungewöhnlich, es sei denn die enorme Blumenpracht der Grabspenden. Es war aber, wie ich schon sagte, meine erste Berührung mit den feierlichen Riten, die aus solchem Anlaß abgehalten werden. Etwas an dem abgedunkelten Zimmer, dem länglichen Sarg mit seiner düsteren Drapierung, den aufgehäuften duftenden Blüten, an den Anzeichen von Trauer unter den versammelten Dorfbewohnern rüttelte mich aus meiner normalen Trägheit auf und erregte meine
    Aufmerksamkeit. Durch einen Stoß des spitzen Ellbogens meiner Mutter aus meiner augenblicklichen Tagträumerei gerissen, folgte ich ihr in den Raum zu dem Sarg, in dem die Leiche meines Großvaters aufgebahrt lag.
    Zum ersten Mal wurde ich mit dem Tod konfrontiert. Ich blickte auf das ruhige, stille Gesicht mit den unzähligen Falten hinunter und bemerkte nichts, was zu Trauer Anlaß geboten hätte. Vielmehr dünkte es mich, daß Großvater ungeheuer ruhig, auf sanfte Weise völlig zufrieden sei. Ich fühlte mich von einem seltsam unangemessenen erhabenen

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